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Museum im Schafstall
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Die Welt ist ein großes Dorf

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„Wildes Paradies“: Warum Imants Tillers aus Australien im Museum im Schafstall in Neuenstadt ausstellt und wie er mit Zitaten Bilder- und Gedankenwelten schafft.

„Die Wirklichkeit offenbart sich im Mysterium“ sagt Imants Tillers und verdichtet Zitate in seinen Bildern zum vielstimmigen Resonanzraum.
„Die Wirklichkeit offenbart sich im Mysterium“ sagt Imants Tillers und verdichtet Zitate in seinen Bildern zum vielstimmigen Resonanzraum.  Foto: Helmut Melchert

Er selbst spricht von „citation“ und „quotation“, von Zitat und Bezugnahme, betrachtet er seine Arbeit. Wenngleich der Australier Imants Tillers als Vertreter der Appropriation Art gehandelt wird, einer Kunst der Aneignung. Eine Fülle von Begriffen, die Tillers gerne zu klären versucht im Gespräch mit unserer Zeitung, bevor die Vernissage beginnt in Neuenstadt. Von der Idee des Gesamtkunstwerks, von Work in Progress, Kunst als Infinito, als Unfertiges, und von Kollegen, die ihn beeinflusst haben wie Sigmar Polke oder Georg Baselitz, erzählt Tillers. Von seinem Kunstverständnis und wie der heute 75-Jährige, der als international bedeutendster Künstler Australiens seiner Generation gilt, dazu gekommen. Nachdem er Architektur in Sydney studiert hatte.

Auf der Documenta in Kassel war Tillers vertreten, auf den Kunstbiennalen in Venedig, São Paulo, Sydney und anderswo, in Gruppenschauen in New York, London, Frankfurt, Stuttgart. Und jetzt ist sein Werk im Museum im Schafstall zu entdecken. Rund 60 überwiegend großformatige Bilder, Tableaux aus zig Paneelen, eine Vorgehensweise, die Tillers seit den 80er Jahren verfolgt, ein System modularer Einzelleinwände. Aber warum Neuenstadt?

Vom anderen Ende der Welt

Tiny world, schließlich ist die Welt ein Dorf. Was auch Tillers’ Vorstellung vom Amalgam aus individuellem und kollektivem Gedächtnis entspricht. Beim Konzert des Württembergischen Kammerorchesters Heilbronn einmal im Jahr in Neuenstadt waren WKO-Kontrabassist Blake Thomson und Hubert Sawatzki, der Direktor des Museums im Schafstall, ins Gespräch gekommen und berichtete Thomson von seinem Schwiegervater Tillers. Das Ergebnis: Bis 31. Mai kommenden Jahres sind die Bildwelten Imants Tillers’ in der Schau „Wildes Paradies“ zu sehen. Und da es nicht selbstverständlich ist, dass ein Künstler vom anderen Ende der Welt nach Deutschland reist, ist das Aufgebot zur Ausstellungseröffnung Freitagabend entsprechend.

Bis 31. Mai ist „Wildes Paradies“ im Museum im Schafstall zu sehen, Mittwoch und Sonntag 10 bis 17 Uhr sowie nach Absprache unter 07139 3924. Eintritt: 6 (4) Euro. Mit einem Reinigungsritual durch Djon Mundine vom Volk der Bundjalung, New South Wales, Australien, an Museumsleiter Hubert Sawatzki wurde die Ausstellung eröffnet, die neben Arbeiten von Imants Tillers Positionen aboriginaler Kunst zeigt. Tillers hat für Neuenstadt ein Bild aus 192 Paneelen geschaffen, eine Art Archiv unter dem Titel „Zurückgelassen“.

Neben Bürgermeister Andreas Konrad, Landrat Norbert Heuser, Mario Urlaß, Professor für Kunst und Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, geben als Schirmherr Djon Mundine, Aboriginaler Kurator aus Australien, sowie die Generalkonsulin Australiens in Frankfurt, Kelly Matthews, dem kleinen Museum die Ehre. Dass Blake Thomson, WKO-Kollegin Jun Hee An an der Geige und Bratschistin Isidore Tillers den mit ausschweifenden Reden und Grußworten gespickten Abend musikalisch begleiten, versteht sich. Isidore Tillers, Mitglied der Münchner Symphoniker, ist maßgeblich am Zustandekommen der Ausstellung ihres Vaters beteiligt und wird in den nächsten Wochen durch diesen mythisch anmutenden Parcours führen.

Mit Konzeptkunst in den 70er Jahren fing Tillers an und kam über die Postmoderne zu dem, was seine Kunst bis heute ausmacht: das Mit- und Nebeneinander von Malerei, Literatur und Philosophie. Landschaften, figurative und abstrakte, Natur- und Gedankenlandschaften, dann wieder Bilder aus Zeichen und Symbolen, die an die Strichmännchen Polkes gemahnen, mitunter an Joseph Beuys, Oder mächtige Zitate der Pittura Metafisica eines Giorgio de Chirico, dessen Signatur Tillers in einem Tafelbild verewigt. Weder Kopie noch Plagiat, ist dieses Zitieren eine strategische Überlegung.

Die Kunst der australischen Ureinwohner

Der Redewendung, dass wir nur Zwerge sind auf den Schultern von Riesen als Metapher für das Verhältnis der aktuellen Wissenschaft und Kultur zu den Leistungen unserer Vorfahren, mag er viel abgewinnen. „Kunst ist ein Abenteuer in eine unbekannte Welt, die nur von denen erkundet werden kann, die bereit sind, Risiken einzugehen“, zitiert Tillers den US-Maler Mark Rothko. Die Kunst der australischen Ureinwohner nennt Tillers den einzigen Beitrag Australiens zur Weltkunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Mit Michael Nelson Jagamara etwa sind gemeinsame Arbeiten entstanden.

Das wiederkehrende Thema von Tillers Kunst? Fragen der Identität. Seine Eltern waren 1949 von Lettland nach Australien geflohen. Welchem Kulturkreis er sich zugehörig fühlt? „Wenn ich wüsste, wer ich bin, würde ich mich als lettischer Australier bezeichnen.“ Woran er indes keine Zweifel hegt: „Die Wirklichkeit offenbart sich im Mysterium.“

Stapelweise im Atelier

Sinnlich verschlüsselte Arbeiten von 1984 bis heute sind in Neuenstadt zu sehen. „Alle sind Teil eines großen Bildes.“ Auf 117 000 Paneelen, meist in Acryl, ist das Gesamtwerk gewachsen. Wenn die 22 auf 38 Zentimeter-Paneelen nicht einzeln auf Leinwände mit Klettpunkten fixiert und auf einen Bildträger etwa aus Holz montiert werden, liegen sie stapelweise im Atelier. Wie eine Skulptur. Ein fortlaufendes Book of Power nennt Imants Tillers seine Bilder- und Gedankenwelten voller Referenzen.

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