Stimme+
Mit Installation von Aoi Nakamura und Esteban Lecoq
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Die Einsamkeit der Daten: Science & Theatre Festival in Heilbronn gestartet

   | 
Lesezeit  2 Min
audioAnhören
Erfolgreich kopiert!

Noch vor dem offiziellen Auftakt am Mittwochabend, 19. November, hatte morgens die digitale Performance „Lilith.Aeon“ Deutschlandpremiere in der Experimenta. Bei diesem 360-Grad-Erlebnis begibt sich eine transhumane Tänzerin in einem LED-Kubus auf eine poetisch-melancholische Reise.

„Ich habe niemanden“: In „Lilith.Aeon“ von Aoi Nakamura und Esteban Lecoq tritt eine transhumane Tänzerin eine Reinkarnations-Reise an.
„Ich habe niemanden“: In „Lilith.Aeon“ von Aoi Nakamura und Esteban Lecoq tritt eine transhumane Tänzerin eine Reinkarnations-Reise an.  Foto: Shaneobenson

Der Traum von der Unsterblichkeit hält sich hartnäckig –  vor allem im digitalen Zeitalter, in dem Forschende und Künstler mithilfe von Künstlicher Intelligenz ein neues Stück im Stil von Molière schreiben, der längst nicht mehr unter uns weilt. Oder Hinterbliebene mit virtuellen Doppelgängern von verstorbenen Menschen chatten können – was Folgen haben dürfte für den Prozess, den wir Trauern nennen.

Als die Großeltern von Aoi Nakamura und Esteban Lecoq sterben, kommen die Tänzerin und der Tänzer über den Schmerz lange Zeit nicht hinweg, bis sie sich dem Transhumanismus zuwenden. Jener Denkrichtung, die den Menschen optimieren möchte durch den Einsatz von Technologie. Und sie von Matheryn aus Thailand lesen, einem kleinen Mädchen, das an einem Hirntumor starb, woraufhin die Eltern sich entschlossen, die Zweijährige als jüngste Person überhaupt einfrieren zu lassen in der Hoffnung, dass sie irgendwann weiterleben wird.

Was wäre, wenn dies tatsächlich gelänge? Mit diesem Gedanken spielt „Lilith.Aeon“, die interaktive, immersive Installation von Aoi Nakamura und Esteban Lecoq, die die Reinkarnation verhandelt der – laut ihren Schöpfern – ersten transhumanen Tänzerin. Wobei Lilith, so ihr Namen, auf die jüdische Legende verweist von Adams erster Frau.

Rund 25 Shows von „Lilith.Aeon“ sind bis einschließlich Sonntag angesetzt

Vergangenes Jahr hatte „Lilith.Aeon“ im französischen Mulhouse Weltpremiere, nun wird die circa einstündige, digitale Performance erstmals in Deutschland gezeigt im Rahmen des Heilbronner Festivals Science & Theatre, einer Kooperation von Stadttheater und Experimenta. Noch vor dem offiziellen Festivalstart am Mittwochabend mit der Uraufführung des Stücks „Die letzte Nacht der Welt“ im Science Dome verfolgt morgens in der ersten von insgesamt rund 25 Shows bis Sonntag eine kleine Besuchergruppe – für die nächsten Vorstellungen an diesem Tag haben sich Schulklassen angekündigt – die verschiedenen Metamorphosen, die Lilith durchläuft.

Auf einem mehrere Meter hohen LED-Kubus in einem dunklen Raum tritt Lilith ihre Reise an aus der Kryokonservierung über eine Embryonalphase zum Übermenschen, bis sie sich im Datenstrom auflöst und das Schlussbild wieder an den Anfang zurückführt. Untermalt von teils wuchtiger Soundkulisse möchte das 360-Grad-Erlebnis vom Zuschauer umkreist werden, um die Räumlichkeit weitestgehend zu erfassen, die Nakamura und Lecoq in „Lilith.Aeon“ erkunden.

„Am Anfang waren Daten. Und die Daten waren ohne Form und leer.“ „Lilith.Aeon“ schreibt eine eigene Genesis auf der einen Seite des Kubus, auf einer anderen sind Landschaften zu sehen, durch die glühend rote, spinnenhafte Wesen huschen über schwarze Ruinen oder hell leuchtende, korallenartige Gewächse sprießen. Verloren zwischen Bits und Bytes, durchstreift als porzellanhaftes Wesen Lilith die traumähnlichen Szenerien. „Ich habe niemanden“, sucht sie auf ihrem poetisch-melancholischen Trip nach einem Zuhause, einer Identität und Zugehörigkeit.

Sieben Jahre Entwicklung stecken in der interaktiven, immersiven Installation

Sieben Jahre hat es gedauert, diese Mischung aus Extended Reality, Tanz und Künstlicher Intelligenz zu entwickeln, die nicht nur ein Tanzpublikum ansprechen möchte, sondern auch Technik-Nerds und Utopisten. Aoi Nakamura und Esteban Lecoq, beide klassisch ausgebildet, er an der Palucca Hochschule für Tanz Dresden, sie an der Staatliche Ballettschule Berlin, haben dafür mittels Motion-Capture-Technologie einen eigenen Algorithmus trainiert auf Grundlage ihres Bewegungsvokabulars.

Während Sound und Szenenfolge gleich bleiben, liegt in der Hand der transhumanen Tänzerin, wo auf dem Kubus sie erscheint und für welches Choreografie-Modell sie sich entscheidet – was jede Performance einzigartig macht. Auch kann Lilith über Kameras auf Menschen im Raum reagieren. Sieben Computer und zwei Techniker braucht es für die Installation, immer vor Ort bei einer Vorstellungen sind auch Aoi Nakamura und Esteban Lecoq, die gerne von ihrer Arbeit erzählen.

Weitere Vorstellungen

www.science-theatre-festival.de

Nach oben  Nach oben