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Schauspiel Stuttgart
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Deine Daten sind meine Macht

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Die Geister, die wir rufen: Uraufführung „KI essen Seele auf“ von Thomas Köck im Kammertheater Stuttgart - und warum sich die Frage stellt, ob künstliche Intelligenz nicht ein Trick des Überwachungskapitalismus ist. 

Atemlose Cyber-Furien im dröhnenden Datenfluss: Silvia Schwinger (links), Therese Dörr und Celina Rongen.
Atemlose Cyber-Furien im dröhnenden Datenfluss: Silvia Schwinger (links), Therese Dörr und Celina Rongen.  Foto: Björn Klein

Frankensteins Schicksal, die Geschichte jenes Wissenschaftlers, der einen künstlichen Menschen erschafft, der sich an seinem Schöpfer rächt, ist keine Science-Fiction mehr. Unsere Gegenwart hat diese 1818 von Mary Shelley ausgedachte Zukunft eingeholt.

Auch wenn, was als KI bezeichnet wird, freundlicher daher kommen mag als Frankensteins Monster: Wachsamkeit ist angesagt. Weil ihm die Ausmaße der künstlichen Intelligenz schlechte Laune machen, wie Thomas Köck in einem Interview bekundet, hat der österreichische Autor ein Stück dazu geschrieben, das jetzt vom Schauspiel Stuttgart im Kammertheater uraufgeführt worden ist. Ein Stück aus Sicht der KI, dem gefräßigen Monster. Das sich durch die sozialen Medien und digitalen Daten pflügt. Nicht, weil es böse ist. Sondern weil die KI es kann. Füttern wir sie doch 24/7 mit User-Kommentaren und Reels, mit Dating-, Shopping-, Banking-Apps, Fitness-Trackern, aus Chatgruppen und Smarthomes. Informationen, die wir leichtsinnig verschenken und mit denen Big Tech wie Google, Meta und Amazon uns kriegen. Uns also menschliche Bedürfnisse verkaufen dank Datenklau, ohne je in die Rentenkasse einzuzahlen.

Cyber-Kriegerinnen

„Your data/my power“, frohlockt die KI. Auf der Bühne ist Köcks „KI essen Seele auf (ORPHEAI)“ als multimedialer Hexen-Sabbat zu erleben. Regisseurin Mateja Meded, von ihr stammt auch das Konzept für Bühne und Kostüm, verteilt Köcks Textfluss, ein deutsch-englischer Schnell-Sprech, auf drei Schauspielerinnen.

Wie Cyber-Kriegerinnen in spaciger Montur hauen Therese Dörr, Celina Rongen und Silvia Schwinger in den kommenden 90 Minuten mal chorisch, mal einzeln Bekanntes, Treffendes, Beängstigendes uns um die Ohren. Drei Performerinnen – mitunter mit einer Umdrehung zu viel, das ist wohl die Zukunft –, die virtuos die Erzählperspektiven switchen zwischen virtuell und analog. Es dürfte nur der Anfang sein der Versprechen jener KI, die Thomas Köck der/die/das Andere nennt, the other – in Anlehnung an Big Brother.

Mensch sein heißt, sich verstellen, hat die KI gelernt

Dass wir unsere Daten verschwenden, ist eine Binse und lässt in „KI essen Seele auf“ der/die/das Andere gottgleich auftrumpfen. Im Zusammenspiel aus Text-Datenfluss, Musik und Video (Robert Seidel) wird aus dem Ohrwurm „God is a DJ“ von Faithless ein „God is an AI“ und stellt Köck ketzerisch die Frage, ob Intelligenz nicht grundsätzlich überbewertet wird und KI nichts als ein Trick ist des Überwachungskapitalismus. Spiegelwände rechts und links vervielfältigen die Handlungsebenen, Mensch sein heißt, sich verstellen, hat die KI gelernt.

Erzählt wird auch die Geschichte einer jungen Frau, die auf Bali beim Surfen umkommt und den Eltern als Avatar begegnet. Der krasse Trip einer Autofahrerin im Smart-Car, das die Route bestimmt. Und die Horror-Grenzkontrolle einer Frau, deren Timeline und somit Profil die KI umgeschrieben hat und die als Terroristin identifiziert und erschossen wird.

Die Büchse der Pandora

„Das hier bist du, die Summe deiner Geschichten. Das Lied vom Ende der Demokratie.“ Wer in welcher Mission spricht, erschließt sich nicht unmittelbar. Mededs Inszenierung zwischen Performance und Überwältigungsstrategie folgt der Logik der Büchse der Pandora. Ist der Deckel einmal geöffnet, gibt es kein Halten. Dann empfehlen sich die namenlosen Überwesen Dörr, Rongen und Schwinger als die Vision, aus der wir nicht mehr erwachen.

Wenn zum Ende schleppend „Du fehlst“ aus Herbert Grönemeyers „Mensch“ gesungen wird und „Bella ciao“ ertönt, ist das ein trügerischer Trost. Begeisterter Applaus.

Weitere Vorstellungen: www.schauspiel-stuttgart.de

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