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Mit „Tilt! - Der Jahresrückblick 2025“
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Daumen drücken für Merz: Urban Priol in Heilbronn

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Gewohnt scharfzüngig knöpft sich Kabarettist Urban Priol in der Harmonie das ablaufende Jahr vor. Und spricht dem Publikum dabei oft genug aus der Seele.

„Der Niedergang der Autoindustrie ist selbstbestimmtes Sterben wie bei den Kessler-Zwillingen“: Urban Priol mit alkoholfreiem Weizen und Notizbuch am Samstag in Heilbronn, nachdem er sich mit dem Stadtbild vertraut gemacht hat.
„Der Niedergang der Autoindustrie ist selbstbestimmtes Sterben wie bei den Kessler-Zwillingen“: Urban Priol mit alkoholfreiem Weizen und Notizbuch am Samstag in Heilbronn, nachdem er sich mit dem Stadtbild vertraut gemacht hat.  Foto: Berger, Mario

Dass jeden Tag genau so viel passiert, wie in die Zeitung passt, mag verwundern. Dass jedes Jahr genau so viel passiert, wie in Urban Priols Rückblick passt, auch. Zumindest, wenn man dem Kabarettisten Glauben schenkt, dass er die ganzen zwölf Monaten zwischen die zwei Deckel seines Notizbuches gepackt hat, mit dem er am Samstagabend in der Heilbronner Harmonie auf die Bühne kommt. Mehr braucht der 64-Jährige nicht für sein Solo, außer noch einen Stehtisch und ein alkoholfreies Weizen, das ihm im Laufe der drei Stunden mit Pause allerdings schal werden wird.

Ob Abstimmung über das Rentenpaket oder Auslosung der Fußball-WM samt Friedenspreisverleihung an Trump: Urban Priol kann sich nicht entscheiden, was tags zuvor spannender gewesen ist. Womit er topaktuell einsteigt in den Abend. Als Stürmchen im Wasserglas bezeichnet er das eine, als peinliche Veranstaltung das andere. Curaçao, Elfenbeinküste und Ecuador sind die Vorrundengegner Deutschlands? „Wir haben die Todesgruppe erwischt.“

Die gegenwärtige Politik satirisch zu toppen? Ist für Urban Priol „richtige Arbeit“

Mehr als 650 Fans wollen sich Priols Erfolgsprogramm „Tilt!“ nicht entgehen lassen im Wilhelm-Maybach-Saal. Munter teilt der Mann mit der Sturmfrisur und den bunten Hemden aus gegen Regierung wie Opposition, gegen EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, Nato-Chef Rutte sowie Trump und Konsorten. Und scheint – gemessen am Gelächter und Zwischenapplaus – seinem Publikum damit oft genug aus der Seele zu sprechen. Wenngleich er schwierige Zeiten beklagt. Denn das satirisch noch zu toppen, womit uns die Politik täglich füttere, „ist richtige Arbeit“. „Es geht aufwärts, alles wird gut“, verordnet sich der kritische Beobachter dagegen immer wieder Optimismus.

Urban Priol, der durch die ZDF-Sendung „Neues aus der Anstalt“ bundesweit bekanntgeworden ist, war schon mehrfach in Heilbronn, dieses Mal hat er sich zuvor bei Polizei und ChatGPT nach dem Stadtbild erkundigt. Vom sichersten Stadtkreis in Baden-Württemberg erzählte die KI, aber auch von einem Anstieg politisch motivierter Straftaten. Ob unter letzteres auch das Plakat fällt, das der Bühnenprofi mit Hang zur gespielten Empörung einst in der Stadt gesehen hat? „Innenminister Strobl kommt“, sei darauf gestanden, ergänzt um ein hinzugeschmiertes „Warum?“.

In Aschaffenburg geboren, verortet sich Urban Priol lieber in Hessen als in Bayern, gleichwohl ihm auch der Freistaat Material für sein Programm liefert. Und so stänkert er gegen Söder und Aiwanger, wie er sich auf Bundesebene auf CSU-Parteikollege Dobrindt einschießt. „Der kürzeste Abstand zwischen zwei Fettnäpfchen? Ein Merz“, arbeitet sich der Kabarettist ausgiebig am „Kanzler zweiter Wahl“ ab, dem er eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert, weil ihn Merkel einst ausgebootet hat. Merz könne es einfach nicht, aber das könne er immer noch besser, „als es die anderen jemals nicht können könnten“. Darum: Daumen drücken.

Viele bekommen ihr Fett weg, nur bei einem muss der Kabarettist kapitulieren

Von Kanzler, Migration, Brandmauer und AfD kommt der scharfzüngige Dauerredner auf NGOs als neues Feindbild für die Union zu sprechen, auf die Papstwahl und Trumps Zollpolitik, das Sondervermögen und den Koalitionsvertrag, die dänische EU-Ratspräsidentschaft sowie den Streit um Veggie-Burger. Den milliardenschweren Investor Peter Thiel identifiziert Urban Priol als wahren Strippenzieher in den USA, diebisch freut er sich über die FDP als neue APO, Zurückrudern schlägt er als Olympische Disziplin vor, partout nichts Lustiges will ihm zu Vizekanzler Klingbeil einfallen. 

Sitzt das Trio Katherina Reiche, Doro Bär und Julia Klöckner glucksend beisammen, kann der Teufel in der Ecke noch etwas lernen, so der Sezierer des gesellschaftspolitischen Irrsinns, der auch Gesundheitsministerin Nina Warken in seinem Rundumschlag nicht verschont. „Der Niedergang der Autoindustrie ist selbstbestimmtes Sterben wie bei den Kessler-Zwillingen“, ätzt Priol weiter und spart nicht mit Spottnamen. Beispiele gefällig? Wagenknecht wird zur alten Stalinorgel und Linnemann zum Einstecktuch von Merz. Den parodiert Urban Priol übrigens ebenso entlarvend wie andere Politiker. Das Publikum spendet begeistert Beifall.

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