Das falsche Bild der Welt
Die überall verwendete Mercator-Projektion der Erde ist gefällig und leicht zu erfassen, aber auch sehr falsch und auf Mitteleuropa zentriert

„Ich liebe Landkarten. Und ich sage immer: ’Schau die Größe an. Es ist riesig. Das sollte Teil der Vereinigten Staaten sein.’“Donald Trump über Grönland (2021)
Seit US-Präsident Donald Trump verkündet hat, er wolle Grönland für die Vereinigten Staaten annektieren, stellt sich unweigerlich die Frage des Warum. Weil es dort Bodenschätze gibt, klar, seltene Erden zum Beispiel, die unter immer weniger des wegschmelzenden Eises und Schnees verborgen sind, und möglicherweise vieles andere auch. Aber Trump sieht noch etwas anderes: Die Größe der arktischen Insel. 2021 sagte der jetzige Präsident: „I love maps. And I always said: ’Look at the size of this. It’s massive. That should be part of the United States.’“ Womit Trump bewiesen hat, dass er auch von Landkarten keine Ahnung hat.
Die Mercator-Projektion lässt Grönland größer erscheinen
Grönland ist groß, zweifelsohne, es ist die größte Insel auf der Erde. Auf einer handelsüblichen Landkarte erstreckt sich die Einöde aus Schnee und Eis und einigen wenigen Siedlungen an ihrem Rand auf einer Fläche, die der Afrikas ähnelt. Eine riesige Insel offenbar. Das Problem dabei: Es stimmt nicht, nicht einmal annäherungsweise. Grönland ist weit davon entfernt, die Größe eines ganzen Kontinents einzunehmen und den Titel als größte Insel der Erde hat Grönland nur, weil das dreimal größere Australien trotz Insel-Dasein zu den Kontinenten gezählt wird.
Grönlands Größe ist eine optische Täuschung, die aus der Unmöglichkeit resultiert, einen Globus flach ausbreiten zu können. Die unmögliche Quadratur des Kreises erhält bei der Kugel eine weitere Dimension, das Vorhaben wird unmöglich. Flache Karten haben aber große Vorteile: Sie lassen sich auf Kartentischen ausbreiten, bezeichnen und ablesen, ohne eine Kugel drehen zu müssen. Eine Landkarte musste her und die Kugel irgendwie darauf projiziert werden. Unter all den Kartenmalern der Frühen Neuzeit gelang es Gerhard Mercator am besten, eine Karte zu gestalten, die leichte Orientierung durch klare Strukturen ermöglichte. Er schuf die so genannte Mercator-Projektion, die bis heute vor allem bei Weltkarten zum Einsatz kommt.
Aber genau diese Mercator-Projektion bringt einige Probleme mit sich, die aber erst in neuerer Zeit Beachtung finden. Die Vorteile der Mercator-Projektion ist ihre Winkeltreue und die Tatsache, dass Norden an jedem Kartenpunkt in derselben Richtung liegt. In der Praxis bedeutet das, dass wer einen Kurs beibehalten will, sich auf der Karte an einer Geraden orientieren kann. Das ist praktisch für Seefahrer.
Die Probleme: Die Größenverhältnisse stimmen nicht mehr. Länder und Gebiete, die nördlich liegen, erscheinen auf Mercator-Karten größer als sie sollten, was südlich liegt, beispielsweise am Äquator, schrumpft zusammen. Grönland ist gar nicht so groß wie Afrika, nicht einmal annähernd, sondern nur in etwa so groß wie die Demokratische Republik Kongo. Afrika ist in Wirklichkeit 14 Mal größer als Grönland.
Von der Kugel zur Karte: Zwischenschritt über einen Zylinder
Wie funktioniert diese Mercator-Projektion, die eine so einfache wie falsche Weltkarte liefert? Die Berechnung der einzelnen Flächen und Punkte wird dadurch erreicht, dass zunächst ein Zylinder um den Globus errichtet wird. Es wird also ein Blatt Papier aufgestellt und einmal um den Äquator gewickelt, wie wenn man einen Flasche Wein in Geschenkpapier verpackt. Die Grenzen werden dann so gezeichnet, dass vom Erdmittelpunkt eine Linie über den zu projizierenden Punkt führt und verlängert wird, bis er den Zylinder erreicht.
Das Problem der zu verschenkenden Weinflasche taucht dabei ebenso beim projizierten Globus auf: Oben und unten passt das nicht so richtig. Während Geschenkpapier aber irgendwie gefaltet werden kann, geht das bei einer Karte natürlich nicht. In der Folge wird alles im Norden und Süden immer größer, die Antarktis um den Südpol wird eine grenzenlose weißen Fläche.
Trotz ihrer Nachteile ist die Mercator-Projektion nach wie vor weit verbreitet, eben weil sie so einfach und eingängig ist, ein einstudiertes Muster, das jeden Tag wiederholt wird. Forscher wie Graham Huggan von der Universität Leeds sehen noch einen anderen Grund, weshalb Weltkarten in der Mercator-Projektion so beliebt sind: Sie zeigen ein Bild, das die Denkmuster des Kolonialismus bedient.
Forscher sieht Karten als theoretische Grenzziehungen
Huggan schreibt, dass Karten keine neutralen Darstellungen von Raum sind, sondern rhetorische Instrumente, die koloniale Grenzziehungen naturalisieren und eurozentrische Weltanschauungen unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Objektivität festigen. Die Darstellung einer verkleinerten Welt im Süden entspräche der kolonialen Denkweise mit einem überlegenen Europa. Diese Denkweite wirke bis heute fort.