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BAP in Heilbronn
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Blättern im Familienalbum: Wolfgang Niedecken und BAP in der Harmonie Heilbronn

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Wie der Kölschrocker Wolfgang Niedecken und BAP in der Harmonie Heilbronn 2000 Fans auf ihrer Zeitreise selig machen.

Als wären die Jahre nie
vergangen: Auf Zeitreise mit Wolfgang Niedecken (Mitte) und BAP.
Als wären die Jahre nie vergangen: Auf Zeitreise mit Wolfgang Niedecken (Mitte) und BAP.  Foto: Mario Berger

Im April kam ihr neues Livealbum heraus. „Zeitreise“, aufgezeichnet an vier Abenden in den Kölner Sartory-Sälen. Auf bald 50 Jahre Bandgeschichte nehmen Niedeckens BAP seitdem mit. Olle Kamellen? 30 Songs der Erfolgs-Alben „Für usszeschnigge!“ und „Vun drinne noh drusse“, mit denen die Kölschrocker seit Wochen durch die Republik touren. So erfrischend erfolgreich, dass die Termine für die Zeitreise 2025 bereits stehen.

Kein Stück wird gespielt, das jünger als 40 Jahre ist, erklärt Wolfgang Niedecken nach den ersten drei Liedern in der Harmonie Heilbronn. „Koot vüür aach“, „Südstadt, verzell nix“ und „Nemm mich mit“, die meisten der 2000 Fans sind bereits aufgestanden, singen textsicher mit.

BAP verkörpern den Wunsch, in Zeiten der Lüge Haltung zu bewahren

Dreieinhalb Stunden mit Pause stehen BAP auf der Bühne, der Abend weckt Erinnerungen, ohne in Melancholie zu kippen. Hut ab, wie es den Musikern gelingt, mit eingängigen, nicht nur einfachen Melodien und klugen Texten, von denen Nicht-Rheinländer maximal die Hälfte verstehen, Zugehörigkeit zu vermitteln. Eine Messe für Gutmenschen? BAP verkörpern den Wunsch, in Zeiten der Lüge Haltung zu bewahren – ein wohliges Bekenntnis.

Wolfgang Niedecken, 1951 geboren, gründete 1976 die Kölschrock-Band BAP. Der Sänger, Texter, Komponist und Frontmann ist heute das einzig verbliebene Gründungsmitglied. Auch nahm er vier Soloalben auf. Ein zweiter Schwerpunkt ist seit den 1970er Jahren die Malerei. Er studierte Freie Malerei und Kunstgeschichte und hat(te) Ausstellungen im In- und Ausland. Für sein soziales und politisches Engagement wurde er 2013 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet. 1990 erschien seine Autobiografie, in der er über eigene Erlebnisse und Missbrauch im Internat berichtet. Niedecken bezeichnet sich als Agnostiker mit Gottvertrauen. Der vierfache Vater ist in zweiter Ehe verheiratet.

Die meisten sind mit BAP groß und alt geworden. Doch auch junge Gesichter zücken Handys, wo früher Feuerzeuge geschwenkt wurden. Dass ihre Rocksongs und Balladen zu Klassikern gereift und ins kollektive Gedächtnis der Nation geschlüpft sind, hat viel mit Frontmann Wolfgang Niedecken zu tun, dem inzwischen 73-jährigen Charismatiker. Ein Überzeugungstäter mit ansteckender Energie. Für die Kollegen auf der Bühne gilt das nicht minder, ein eingespieltes Team, das den Saal zum Schwingen bringt mit jaulenden Gitarrenriffs, tänzelnden Streicherklängen, funkigen Bläsersätzen, Drums und Bob-Dylan-seligen Mundharmonika-Schluchzern.

40 Jahre und mehr sind "Waschsalon" und "Müsli-Män"

Da sind der Gitarrist – „unser Kapellmeister“, sagt Niedecken – Ulrich Rode, die Multiinstrumentalistin Anne de Wolff („unsere Allzweckwaffe“), Sönke Reichel am Schlagzeug, Pianist und Keyboarder Michael Nass, Bassist Werner Kopal, Saxofonist Axel Müller, Trompeter Benny Brown und Posaunist Franz Johannes Goltz. Sie alle möchte man mit Superlativen beschreiben, wie sie uns durch die Zeitreise navigieren.

Echt jetzt? 40 Jahre und mehr sind „Wellenreiter“ – klingt nicht anders, wenn in Köln mitgesungen wird, schmeichelt Niedecken –, sind „Ens em Vertraue“ und „Müsli-Män“? Die Reggae-Nummer hat Niedecken geschrieben, als die Band einst zur Gegenbuchmesse nach Frankfurt reiste. Als Revoluzzer inszeniert haben sich BAP nie. BAP waren immer sie und damit anders und doch normal. Mainstream sind sie bis heute nicht, aber kritisch und dem Leben zugewandt, irgendwie rheinische Frohnatur.

Niedeckens Einstellung zum Karneval hat sich "modifiziert"

Seine Einstellung zum Karneval hat sich „inzwischen etwas modifiziert“, bekennt Niedecken und erzählt von einer Karnevalsflucht nach Sardinien in einem Februar. Als es selbst auf der Mittelmeerinsel regnerisch war und „Ahn’ ner Leitplank“ entstand. Oder wie ihn ein Besuch mit seiner damaligen Freundin und heutigen Mutter seiner Söhne auf der Bonner Straße zu „Waschsalon“ inspirierte, diesen „Chuck-Berry-artigen Song“.

„Damit es nicht zur Vorlesung gerät“, wirbt Niedecken kumpelhaft für ihr „Zeitreise“-Magazin mit Fotos und all den Storys, das es beim Merchandise-Stand gibt. Ein nachdenklicher Block folgt, „Zehnter Juni“ mit der Zeile „Plant mich bloß nit bei üch inn“, an diesem Abend gewidmet jenen jungen Russen, die keine Lust auf Krieg haben. Auch bei „Kristallnaach“ hätte Niedecken nichts dagegen, wenn es endlich unaktuell würde. Bildstarke Balladen wie „Fuhl am Strand“, „Weisste noch?“ und die Liebeshymne „Carmen“ sind wie ein Blättern im Familienalbum, während Fotos in der Cloud nie mehr angesehen werden.

In die neue Woche mit BAP

Nach der Pause läuft Rode mit einem Gitarren-Intro zu „Jupp“ zu Höchstform auf, folgt das Lied, das jeder kennt, „Verdamp lang her“ für „meinen Vadder“. „Nicht resigniert, nur reichlich desillusioniert“ sekundieren glückliche Fans. Und fallen sich bei „Frau, ich freu mich“, „Zaubre“, „Anna“ und der unschlagbaren Beziehungs-Hymne „Jraaduss“ – Teil zwei und drei von Niedeckens Liebeskummertrilogie – in die Arme. „Schön, dass ihr uns treu bleibt“, ruft Niedecken. „Et letzte Leed“ erinnert ihn an eine Zeit, „die perdu ist“. Mit „Helfe kann dir keiner“ als Zugabe ist dann aber wirklich Schluss – in die neue Woche geholfen haben BAP allemal.

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