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Arbeiten von Martyna Marciniak, Sarah Ciston und Jake Elwes 
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„A closer look“: Pop-up-Ausstellung in Heilbronn wirft kritischen Blick auf KI

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Der Papst trägt Balenciaga? „A closer look“ fordert uns auf, genauer hinzuschauen, wenn es um Künstliche Intelligenz geht. Bis 1. März ist die Ausstellung in der Experimenta zu sehen.

„Seit ihren Anfängen unterhält die Fotografie eine sehr komplizierte Beziehung zur Wahrheit“: Martyna Marciniak hat den Balenciaga-Mantel aus einem gefälschten Bild von Papst Franziskus akribisch rekonstruiert.
Fotos: Lina Bihr
„Seit ihren Anfängen unterhält die Fotografie eine sehr komplizierte Beziehung zur Wahrheit“: Martyna Marciniak hat den Balenciaga-Mantel aus einem gefälschten Bild von Papst Franziskus akribisch rekonstruiert. Fotos: Lina Bihr  Foto: Lina Bihr

Mit einem epochalen Wandel, vergleichbar der Industriellen Revolution, begründete die Gesellschaft für deutsche Sprache, dass sie „KI-Ära“ unlängst zum Wort des Jahres wählte. Der Einfluss von Künstlicher Intelligenz auf viele Lebensbereiche wächst rasant – was Chancen und Risiken birgt. Wobei Sarah Donderer keine Freundin eines Schwarz-Weiß-Denkens ist. Stattdessen betont die Referentin für digitale Kulturen an der Akademie Schloss Solitude, dass auch hinter KI Menschen stehen. Nicht die Technologie habe also eine dunkle Seite, sondern deren Nutzung könne dunklen Zwecken dienen.

Dies mit künstlerischen Mitteln zu erörtern, findet Donderer spannend, weil in der Kunst „viel getestet, experimentiert und ausgewählt wird“. Selbst ausgewählt hat die ehemalige Kuratorin am ZKM in Karlsruhe nun drei vor allem kritische Positionen für eine übersichtliche Pop-up-Ausstellung in der Heilbronner Experimenta.

Unter dem programmatischen Titel „A closer look“ fordert die Schau auf, genauer hinzusehen, wenn es um Macht, Kontrolle, Täuschung sowie Verantwortung im Umgang mit KI geht. Bis 1. März nächstes Jahr werden im Hagenbucher-Speicher die Arbeiten von Martyna Marciniak, Sarah Ciston und Jake Elwes gezeigt. „Alle haben eine sehr unterschiedliche Herangehensweise ans Thema“, wie Sarah Donderer erklärt: hier die analytische, fast schon forensische Aufarbeitung von Fake-Bildern durch Marciniak, dort Cistons Beitrag, der ein andauerndes Forschungsprojekt ist über die Zusammenhänge bei der Entwicklung von KI-Technologien, und Elwes, der mit Machine-Learning-Systemen arbeitet.

Zur Ausstellungsdauer von „A closer look“

Die Pop-up-Ausstellung „A closer look“ wurde kuratiert von Sarah Donderer. Bis 1. März 2026 zeigt sie Arbeiten von Martyna Marciniak, Sarah Ciston und Jake Elwes in der Experimenta Heilbronn. Geöffnet ist die Schau montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr sowie am Wochenende und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Martyna Marciniak: „Die KI zu personifizieren ist nicht hilfreich“

„Seit ihren Anfängen unterhält die Fotografie eine sehr komplizierte Beziehung zur Wahrheit“, sagt Martyna Marciniak beim Rundgang durch „A closer look“. Die polnische Künstlerin und Forscherin, Jahrgang 1991, möchte mit ihren Arbeiten ergründen, wie synthetische Bilder unsere visuelle Kompetenz und Kultur verändern. Und darauf hinweisen, dass die Kategorien „fake“ und „real“ den Diskurs über KI-generierte Motive zu sehr vereinfachen. In Heilbronn zu sehen ist „AI Hyperrealism“, das erste Kapitel ihres Projekts „Anatomy of Non-Fact“.

Ausgangspunkt ist der sogenannte Fake-Balenciaga-Papst: 2023 sorgte ein KI-Bild von Papst Franziskus mit Daunenmantel im Stil der Luxusmarke Balenciaga für Aufsehen und verbreitete sich rasch in den sozialen Medien. Marciniak – die sich übrigens gut an die Massenhysterie in ihrer Heimat erinnert, als der polnische Papst Johannes Paul II. starb – hat jenen Balenciaga-Mantel in die materielle Realität überführt. Nach dem authentisch wirkenden, aber lediglich digital existierenden Vorbild hat sie ihn akribisch rekonstruiert – zusammen mit weiteren, verzerrt abgebildeten Objekten: einer Brille, einem Siegelring, einer Kreuz-Kette.

Blopsters nennt Marciniak solche Anomalien in ihrem beigefügten Lexikon. „Wir sprechen etwa von Halluzinationen, wenn die KI Fehler macht. Aber das personifiziert sie, was ich absolut nicht hilfreich finde, wenn es darum geht, ihre Eigenschaften zu verstehen“, bemüht sich die studierte Architektin um treffende Bezeichnungen für die Phänomene rund um synthetische Bilder. Auch ein 18-minütiges Video mit einem Papst-Darsteller sowie eine fortlaufende Zeitleiste zur visuellen Kultur hat Marciniak zur Ausstellung beigesteuert.

Die „AI War Cloud Database“ von Sarah Ciston will für Zusammenhänge in der KI-Entwicklung sensibilisieren.
Die „AI War Cloud Database“ von Sarah Ciston will für Zusammenhänge in der KI-Entwicklung sensibilisieren.  Foto: Lina Bihr

Von Sensoren in Supermarkt-Schiebetüren und in Bomben

Unter dem Titel „AI War Cloud Database“ spürt Sarah Ciston aus den USA die verborgene Verbindung zwischen alltäglicher Technologie und militärischen KI-Systemen auf. Die Ergebnisse der Recherche sind auszugsweise auf großformatigen Infografiken sowie als weit verzweigtes Netzwerk in einer interaktiven Karte dargestellt, die auch auf Cistons Webseite abrufbar ist. „Sensoren, die in automatischen Schiebetüren in Supermärkten eingebaut sind, sind Sensoren, die für Bomben genutzt werden, damit sie explodieren, bevor sie Bodenkontakt haben“, gibt Kuratorin Donderer ein Beispiel.

Kuratorin Sarah Donderer präsentiert eine der beiden Videoinstallationen von Jake Elwes.
Kuratorin Sarah Donderer präsentiert eine der beiden Videoinstallationen von Jake Elwes.  Foto: Lina Bihr

Mit zwei Installationen ist Jake Elwes vertreten: Im 25-minütigen Video „A.I. Interprets A.I. Interpreting ‚Against Interpretation‘ (Sontag 1966)“ hinterfragt der satirisch arbeitende Künstler linguistische Bildgeneratoren in neuronalen Netzen. Für „Terms & Conditions Opera: a Legalese Libretto“, eine knapp vierstündige Videoinstallation, hat Elwes das Kleingedruckte von KI-Plattformen zu einer absurden Opernpartitur umgestaltet.

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