Dirk Hoke: „Gesunde Menschen nicht vom Reisen abhalten”
Durch die Corona-Pandemie ist der Passagierverkehr der internationalen Luftfahrt um 75 Prozent eingebrochen. Trotzdem ist Dirk Hoke, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie, überzeugt, dass sich der Flugverkehr mittelfristig erholen wird.

Die Corona-Pandemie hat auch die internationale Luftfahrt in eine schwere Krise gestürzt. Der Passagierverkehr ist um 75 Prozent eingebrochen, sagt Dirk Hoke, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. Er ist aber davon überzeugt, dass sich der Flugverkehr mittelfristig wieder gut erholen und auf einen Wachstumskurs zurückfinden werde. Im Interview spricht der Vorstandschef von Airbus Defence and Space auch über klimaneutrales Fliegen.
Herr Hoke, jahrzehntelang kannte die Luftfahrtbranche nur Wachstum. Die Corona-Pandemie hat die Luftfahrtindustrie besonders schwer getroffen. Wie ernst ist diese Krise für Ihre Branche?
Dirk Hoke: Die Corona-Pandemie hat die Luft- und Raumfahrt in die schwerste Krise gestürzt. Es geht jetzt darum, diese Krise zu meistern und die Zukunft zu sichern. Auch die Nachfrage nach Dienstleistungen wie Wartung und Instandsetzung, die einen erheblichen Teil der Wertschöpfung ausmachen, sind eingebrochen. Wir müssen diese strategische Industrie retten und die Liquidität sicherstellen. Nur so können Insolvenzen systemkritischer Unternehmen in unserer Schlüsselindustrie verhindert werden. Dies betrifft zudem die gesamte Lieferkette. Sowohl die Tiefe des Einschnitts als auch die zu erwartende Dauer haben dramatische Werte erreicht, die noch vor einem Jahr jenseits unser aller Vorstellungsvermögen lagen.
Wie haben sich die Passagierzahlen 2020 entwickelt?
Hoke: Wir haben einen beispiellosen Einbruch erlebt. Insgesamt ist der Passagierverkehr um über 75 Prozent eingebrochen. Und wenn die Flugzeuge am Boden bleiben, leidet die gesamte Industrie. Insgesamt sind dies zehntausende Existenzen und hunderte Unternehmen, die von dieser massiven Krise betroffen sind. Dies betrifft Unternehmen in der gesamten Bundesrepublik, von der Küste bis zum Bodensee und Mitarbeitende entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Und die Umsätze?
Hoke: Quasi alle Unternehmen in der Luft- und Raumfahrt haben erhebliche Einschnitte verkraften müssen – in der zivilen Luftfahrtindustrie um ca. 40 Prozent. Drei Viertel aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten in Kurzarbeit gehen und über zwei Drittel der Zulieferer haben eine zum Teil sehr schmerzhafte Restrukturierung durchgeführt. Dem kann sich niemand entziehen.
Wo steht die deutsche Luftfahrtindustrie im internationalen Vergleich?
Hoke: Diese Krise trifft alle, die gesamte internationale Luftfahrtindustrie befindet sich in einer schweren Krise. Ich denke allerdings, dass wir in Deutschland und Europa diese extremen Herausforderungen bisher recht gut gemanagt haben. Airbus hat die Produktionsraten reduziert, aber gerade in der für unsere Zulieferer sehr wichtigen A320 Familie die Rate auf 40 Flugzeuge stabilisiert. Ein unverzüglich implementiertes, gut aufeinander abgestimmtes Zusammenspiel von unternehmerischen und staatlichen Maßnahmen hat insgesamt geholfen, die Auswirkungen dieser Krise abzufedern und die Lieferkette aufrecht zu erhalten. Jetzt gilt es, diese Krise zu überwinden und die Zukunft zu sichern.
Ihre Prognosen für 2021?
Hoke: Wir erwarten für die Luftfahrtindustrie keine schnelle Erholung, sondern eine U-Kurve mit tiefem Tal. Diese Krise ist noch lange nicht vorbei. Ich fürchte, wir werden das Vorkrisen-Niveau erst in einigen Jahren erreichen. 2021 wird ein schwieriges Jahr für die Luftfahrt. Prognosen sind aktuell außerordentlich schwierig, die Wiederaufnahmen des Flugverkehrs hängen von den politischen Rahmensetzungen ab.
Wie sieht Ihre Perspektive für die Luftfahrt im Jahre 2030 aus? Klimaneutrales Fliegen, was bedeutet das? Und wann kommt das klimaneutrale Fliegen?
Hoke: Wir stellen schon heute die Weichen für das klimaneutrale Fliegen. Neben der aktuellen Krise nimmt der Klimaschutz bereits seit geraumer Zeit einen hohen Stellenwert ein. Wir haben ambitionierte Ziele: Bis 2050 will die Luftfahrtindustrie klimaneutral Fliegen. Und schon 2035 bringt Airbus das erste Nullemissionen-Verkehrsflugzeug auf den Markt – mit viel Hochtechnologie aus Deutschland. Wenn Sie mich nach dem Jahr 2030 fragen: Bis dahin haben wir wesentliche Teile der Technologie entwickelt, um dieses Flugzeug zu bauen.
Grundsätzlich: Ist mit dieser Pandemie auch das Ende des Billigreisens in der Luftfahrt gekommen?
Hoke: Diese Krise wird bestimmt zu einer Neuordnung des Luftverkehr-Marktes führen. Allerdings haben sich die zugrundeliegenden Mechanismen nicht geändert und die Geschäftsmodelle zahlreichen Fluggesellschaften haben sich in den Jahren des Wachstums bewährt. So genannte Low-Cost-Carrier haben damit erheblich zur Demokratisierung des Fliegens beigetragen. Ich hoffe, dass auch zukünftig viele Menschen die Chance haben werden, andere Länder und Kulturen kennenzulernen.
Wie wird sich diese Krise langfristig auf unsere Art des Reisens auswirken?
Hoke: Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Ich glaube allerdings, dass sich der Flugverkehr mittelfristig wieder gut erholt und auf einen Wachstumskurs zurückfindet. Fliegen verbindet Menschen, Kulturen, Länder und stiftet so Frieden. Für eine Exportnation wie Deutschland hat die Luftfahrt zudem eine entscheidende wirtschaftliche Bedeutung. Das Fliegen ist der ureigene Traum des Menschen und wird uns noch hoffentlich lange begleiten.
Zur Debatte über die Vorlage von Impfnachweisen -wäre es nicht ein gangbarer Weg zu sagen: Ab der kommenden Sommer-Reisesaison sollten Reisende einen Impfnachweis dabei haben? Und wie sieht es mit einer anderen Teststrategie aus?
Hoke: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir gesunde Menschen nicht vom Reisen abhalten sollten. Schnelltests könnten hier eine wichtige Rolle spielen. Die Entscheidung dafür liegt aber nicht bei uns, sondern bei den Fluggesellschaften und den Regierungen.
Wie zufrieden sind Sie mit der staatlichen Handhabung der Krise? Welche Maßnahmen sind in Zukunft nötig, um die Folgen der Krise abzufedern?
Hoke: Das „Auf-Sicht-Fahren“ der Bundesregierung hat sich als wichtig und richtig erwiesen. Der Wirtschaftsstabilisierungsfond, KfW-Kredite und Bürgschaften und vor allem das Kurzarbeitergeld haben maßgeblich dabei geholfen, über 100.000 High-Tech-Arbeitsplätze in Deutschland weitgehend zu sichern. Der Bund muss jetzt seine Beschaffungsprogrammentscheidungen für Luft- und Raumfahrtprodukte priorisieren, mit Präferenz für europäische oder nationale Lösungen. Zudem muss die Forschungsförderung weiter gestärkt werden und Exportunterstützung auf nationaler und europäischer Ebene angeboten werden. Nur so kann diese Industrie gesichert und Europas strategische Autonomie garantiert werden. Das sichert Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit über diese Krise hinaus.
Rechnen Sie mit Insolvenzen und wenn ja, in welcher Größenordnung?
Hoke: Das kann ich nicht sagen. Die Lage ist ernst, aber ich hoffe, dass wir in Deutschland Insolvenzen weitgehend abwenden können. Je länger die aktuellen Maßnahmen andauern, desto schwieriger ist die Lage.
Drei Viertel aller Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette in der Luft- und Raumfahrtindustrie mussten in Kurzarbeit gehen. Und wenn man allein auf Airbus blickt: Über alle Flugzeugtypen hinweg konnte Airbus im ersten Halbjahr 2020 nur knapp halb so viele Flugzeuge ausliefern wie im Jahr 2019, da beispielsweise Fluggesellschaften um die Verschiebung von Lieferterminen baten. Im Vergleich zum Vorjahr wurden 2020 auch deutlich weniger Flugzeuge vom Typ Airbus A320 ausgeliefert. Was macht das mit Mitarbeitern und woraus ziehen Sie Zuversicht?
Hoke: Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben in dieser Krise Unglaubliches geleistet und viele haben persönlich viel geschultert. Ich kann ihnen kaum genug dafür danken, wie verlässlich sie an der Krisenbewältigung mitgearbeitet haben. Einfach war das für niemanden, aber der Zusammenhalt und die Widerstandsfähigkeit geben mir Hoffnung. Dasselbe gilt für den Markt. Selbst in diesen schwierigen Zeiten gibt es Bestellungen – wenn auch natürlich deutlich weniger als zuvor. Airbus hat im Jahr 2020 immerhin 566 Flugzeuge ausgeliefert und die höchste Zahl in einem Monat war im Dezember 2020. Ich glaube, wir werden gestärkt aus dieser existentiellen Krise hervorgehen. Wir stehen aber noch vor schwierigen Monaten: Kurz vor Sonnenaufgang ist es bekanntermaßen am dunkelsten.
Wenn weniger produziert wird, leidet dann nicht auch die Innovationskraft?
Hoke: Vor allem leiden die Unternehmen, die als innovative Pioniere an der Luftfahrt der Zukunft arbeiten. So trifft es den schwer gebeutelten Mittelstand, den Innovationsmotor der Branche, besonders hart. Aber wir können nicht auf den Erfindergeist verzichten. Als Hochlohnland können wir in Deutschland nur durch immer bessere, modernere und nachhaltige Produkte am Weltmarkt Erfolg haben. Wir sind quasi zur Innovation verdammt.
Sorgen Projekte in anderen Sparten derzeit für etwas wirtschaftliche Kompensation?
Hoke: Die zivile Luftfahrt ist bei weitem das wichtigste Standbein der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. Es ist aber von elementarer Bedeutung, dass geplante Aufträge in der Raumfahrt und der militärischen Luftfahrt jetzt erteilt werden, um die Auswirkungen der Krise nicht unnötig zu verschlimmern. Wir sind der Bundesregierung dankbar, dass die Beschaffung von Eurofightern der Tranche 4 ausgelöst wurde - dies wird zur Absicherung von Arbeitsplätzen führen. Und unabhängig von der aktuellen Krise muss FCAS jetzt aus den Startlöchern kommen. Das Future Combat Air System ist das bedeutendste sicherheits- und verteidigungspolitische Projekt in Deutschland und Europa. Die Politik muss dieses Jahr die richtigen Weichenstellungen setzen, um das Projekt zum Erfolg werden zu lassen.
Zur Person
Dirk Hoke (51) ist seit rund einem Jahr Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. Mit über 240 Mitgliedern vertritt der BDLI die Interessen eine Branche, die in Deutschland etwas 114.000 direkt Beschäftigte hat und jährlich ein Umsatzvolumen von gegenwärtig 41 Milliarden Euro generiert. Hoke hat in Braunschweig Maschinenbau studiert. Nach beruflichen Stationen bei Renault und Siemens ging er zu Airbus. Dort ist er seit 2016 Vorstandschef Defence and Space.