Springer-Verlag: Keine Ruhe nach dem Reichelt-Rauswurf
Hat Konzernchef Döpfner im Fall Reichelt zu spät gehandelt? Die Vorwürfe gegen den ehemaligen "Bild"-Chef standen lange schon im Raum. Der Journalistenverband fordert eine genaue Aufarbeitung des Falls.

Der Rauswurf von "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt sorgt weiterhin für reichlich Wirbel. In der Kritik steht zunehmend Verlagschef Mathias Döpfner, dem vorgeworfen wird, viel zu lange an Reichelt festgehalten zu haben.
Reichelt hat den Vorstand belogen
Der Springer-Konzern hatte den 41-jährigen Reichelt am Montag mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden. Zur Begründung hieß es, das Unternehmen habe aufgrund von Presserecherchen neue Erkenntnisse über das Verhalten Reichelts gewonnen. Demnach habe dieser auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 "Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt", heißt es in einer Mitteilung des Springer-Konzerns.
Vorwürfe standen schon lange im Raum

Bereits im Frühjahr war dem "Bild"-Chefredakteur Machtmissbrauch in Zusammenhang mit einvernehmlichen Beziehungen zu Mitarbeiterinnen sowie Drogenkonsum am Arbeitsplatz vorgeworfen worden. Darüber hatten Medien berichtet. Springer kam damals zu dem Schluss, dass Reichelt zwar Fehler gemacht habe, diese aber nicht strafrechtlich relevant seien. Reichelt durfte daraufhin nach zwölf Tagen Freistellung auf seinen Stuhl zurückkehren.
Verlagschef Döpfner sagte laut dem Portal T-Online nun in einer Videobotschaft an die Springer-Mitarbeiter, Reichelt habe diese zweite Chance nicht genutzt. Der Vorstand habe "zwei sehr glaubwürdige Zeugenberichte bekommen", dass Reichelt weiterhin eine Beziehung zu einer "Bild"-Mitarbeiterin habe. "Hinterher ist man immer klüger", sagte Döpfner in dem Video.
US-Journalist wundert sich über das späte Handeln von Springer
Der "New York Times"-Autor Ben Smith, dessen Bericht über Springer als Auslöser für Reichelts Entlassung gilt, kann das Vorgehen des Springer-Konzerns nicht nachvollziehen. In einem Interview mit der "Zeit" sagte Smith, Springer habe schon vor der Veröffentlichung seiner Recherchen alle wesentlichen Vorwürfe gekannt. In dem Beitrag schreibt Smith, die Arbeitskultur bei "Bild" vermische Sex, Journalismus und Firmengeld. Reichelt, der 2016 geheiratet hat, soll Scheidungspapiere gefälscht haben, um eine seiner Mitarbeiterinnen von der Ernsthaftigkeit seiner Absichten zu überzeugen. Laut "Spiegel" soll der Chefredakteur vor allem junge Berufseinsteigerinnen, Volontärinnen und Praktikantinnen systematisch verführt haben und Aufstiegschancen davon abhängig gemacht haben, dass man mit ihm schlafe. Reichelts sexuelle Verhältnisse reichen demnach bis ins Jahr 2014 zurück.
DJV-Chef fordert intensive Aufarbeitung
Der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands (DJV) Frank Überall fordert eine weitergehende Aufarbeitung des Falls. Es sei eine neue Qualität und das müsse auch so sein, dass solche Vorgänge wie bei Springer und der "Bild"-Zeitung öffentlich diskutiert würden, teilte Überall mit. Hart kritisierte er den Ippen-Verlag, der die Veröffentlichung von Recherche-Ergebnissen unterbunden hatte. "Das ist ein Verstoß gegen die innere Pressefreiheit in diesem Medienunternehmen Ippen", sagte der DJV-Vorsitzende.
Springer übernimmt US-Konzern Politico

Die Veröffentlichung des brisanten "Times"-Artikels und die Entlassung Reichelts fallen zeitlich zusammen mit dem Kauf der US-Mediengruppe Politico durch den Springer-Konzern am Dienstag. Springer sieht in den USA großes Wachstumspotenzial, insbesondere im digitalen Bereich. Politico mit rund 700 Mitarbeitern ist Spezialist für Newsletter mit politischen Inhalten. Ein Kaufpreis für die wohl größte Übernahme in der Geschichte des Axel-Springer-Konzerns wurde nicht genannt.
Döpfners Sicht
Für Wirbel sorgte eine durch die "New York Times" bekanntgewordene private Kurznachricht von Springer-Chef Mathias Döpfner, der auch Präsident des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) ist. Darin hatte er "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt als letzten und einzigen Journalisten in Deutschland bezeichnet, der mutig gegen den "neuen DDR-Obrigkeitsstaat" aufbegehre.