Stimme+
Baden-Württemberg
Lesezeichen setzen Merken

Erste Traubenbeeren werden schon rot: Aber wann beginnt wohl die Weinlese?

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Der Wein-Jahrgang 2024 hält die Wengerter ganz schön auf Trab. Reben explodieren im Wachstum regelrecht. Allerdings: wegen Aprilfrost vielerorts große Mengeneinbußen.

Wengerter und Weinbauverbandsvizepräsident Peter Albrecht halbiert die Trauben, um die Qualität zu steigern. Andere halten sich zurück, weil Aprilfröste   Mengeneinbußen nach sich ziehen.
Wengerter und Weinbauverbandsvizepräsident Peter Albrecht halbiert die Trauben, um die Qualität zu steigern. Andere halten sich zurück, weil Aprilfröste Mengeneinbußen nach sich ziehen.  Foto: Seidel, Ralf

Wer dieser Tage durch die Weinberge schlendert, spaziert oder joggt, dem dürfte es nicht entgangen sein: Hie und da färben sich bereits die ersten Traubenbeeren rötlich. Aber auch solche Zeitgenossen, die vornehmlich online in sozialen Netzwerken unterwegs sind, könnten darauf gestoßen sein. „Cabernet Dorsa am 14.7. völlig verrückt.“ So postete Manuel Jaksch vom Rebveredler Wagner-Arnold aus Gundelsheim Mitte des Monats auf Facebook und stellte dazu ein Foto mit rötlich gefärbten Trauben dieser Weinsberger Neuzüchtung.

Kein Einzelfall. „Der Regent hat schon rote Bäckchen, und der Acolon dürfte auch bald folgen“, erklärte Wengerter Hermann Berthold am 18. Juli bei einer kleinen Schnaufpause unterhalb des Neckarsulmer Scheuerbergs. Hobbygärtner, die in ihrem Stückle oder Hausgarten Tafeltrauben wie Muskat bleu hochziehen, berichten ähnliches.

Wann beginnt eigentlich die Traubenlese?

Doch allen voran Peter Albrecht aus Heilbronn, seines Zeichens Vize-Präsident des Weinbauverbandes Württemberg, weiß: Erstens handelt es sich dabei um ausgesprochen früh reifende Sorten. Zweitens ist eine Beere, auch wenn sie rot ist, noch lange nicht reif. Bliebe die Frage: Wann ist es tatsächlich soweit. Und: Wann beginnt die Traubenlese?

Bei besonders früh reifen Sorten wie etwa Satin Noir färben sich schon die Beeren rot.
Bei besonders früh reifen Sorten wie etwa Satin Noir färben sich schon die Beeren rot.  Foto: Seidel, Ralf

Weinbauschule beginnt Ende August mit ersten offiziellen Reifemessungen

Laut einer alten Bauernregel geht es mit der Ernte 100 Tage nach der Traubenblüte los. Die ersten blühenden Gescheine wurden 2024 bereits Ende Mai/Anfang Juni gesichtet. Wengerter-Urgestein Martin Heinrich spielte deshalb schon im Frühjahr mit dem Gedanken, seinen Urlaub umzudisponieren und die Leseleute zu informieren: „Richtet Euch auf die letzte Augustwoche ein!“ Ob es so kommt, werden die nächsten Wochen zeigen.

Im Weingut G. A. Heinrich setzt man unter Federführung der Junior-Chefs Tobias und Björn Heinrich stets auf eine frühe Lese: um später möglichst frische Tropfen zu gewinnen, mit relativ hoher Säure und moderatem Alkoholgehalt. „Oechsle ist nicht alles“, weiß auch der Senior.

Weinbauschule nimmt Trauben ab Ende August regelmäßig unter die Lupe

Gleichwohl sind die Oechslewerte, also der Zuckergehalt des Saftes in den Beeren, ein einfacher Gradmesser für den Reifegrad der Trauben, den jedermann relativ schnell mit einem sogenannten Refraktometer messen kann. Genauer unter die Lupe genommen werden die Trauben von der Weinbauschule Weinsberg, die alle Jahre wieder Ende August mit ihren offiziellen Messungen beginnt und dabei verschiedene Parameter heranzieht: Standort, Sorte, Zuckergehalt, aber etwa auch Säure und pH-Wert. Dabei zeigte sich zuletzt, dass sich die Reife durch die Klimaerwärmung seit den 1990er Jahren im Schnitt immer früher einsetzt, nicht wie einst erst im Oktober. „Früher haben wir im Parka gelesen, heute im T-Shirt.“ So brachte es der legendäre Weinsberger Forscher Dr. Walter Kast gerne auf den Punkt.

Maurice Kirschenlohr (links) und Peter Albrecht rammen Stickel in eine junge Rebanlage.
Maurice Kirschenlohr (links) und Peter Albrecht rammen Stickel in eine junge Rebanlage.  Foto: Seidel, Ralf

Ein Jahrgang im Zeichen des Klimawandels

Auch im Jahrgang 2024 lassen sich Phänomene des Klimawandels erkennen: Früher Austrieb, frühe Blüte, mutmaßlich frühe Lese, aber auch etliche Wetterextreme wie Frühjahrsfrost, Hitze, Starkregen, Gewitter, Hagel. Von extremer Trockenheit wie in den Vorjahren ist heuer indes keine Spur. „Schon im Januar und Februar sind wir mit viel Regen ins Jahr gestartet, und so ging es grad weiter“, berichtet Claus Burmeister, der die Weinguter Heitlinger und Burg Ravensburg im Kraichgau leitet. Gut verlaufen sei der Austrieb der Reben Mitte April.

Reben sind im Wachstum heuer regelrecht explodiert

„Heftig getroffen“ hätten die jungen Triebe mehrere Spätfröste Ende April, „mancherorts zu 100 Prozent, zur Hälfte, mancherorts aber auch gar nicht“. Der viele Regen bei nicht zu heißen Temperaturen hätten die Reben im Wachstum regelrecht explodieren lassen. „Wir sind kaum mit der Arbeit nachgekommen. Einerseits toll, andererseits sehr sehr aufwendig und schwierig, gerade beim Pflanzenschutz.“ Vor allem die Pilzkrankheit Peronospora in Griff zu halten, sei eine große Herausforderung gewesen, arbeitstechnisch und psychisch, denn es bestand ja die Gefahr, noch mehr von der Ernte zu verlieren. „Aber jetzt sind wir happy. Das, was dran hängt, ist zwar wenig, aber vielversprechend.“

Erste grobe Mengenprognose fällt sehr bescheiden aus

Die Hauptlese dürfte wohl Mitte September beginnen, also einmal mehr mitten im Weindorf, schätzt Justin Kircher von der Genossenschaftskellerei Heilbronn. "Derzeit laufen noch die letzten Pflanzenschutz- und Laubarbeiten." Eine Mengenprognose sei angesichts der ganz unterschiedlichen Frostschäden schwierig, er gehe derzeit im Schnitt von nur 90 Kilogramm/Ar aus, 2023 waren es 120 Kg/Ar. Genaueres lasse sich wohl erst bei der Herbstversammlung am 3. September sagen, respektive Anfang/Mitte Oktober, wenn alles gelesen ist. "Aber jetzt ist dann erstmal Urlaub," betont der Wengerter.

Den Norden der Region Heilbronn hat der Aprilfrost besonders hart getroffen

Die Spätfröste von Ende April haben die Reben ganz unterschiedlich getroffen, besonders schlimm war es, wie berichtet, etwa in Löwenstein, aber auch am nördlichen Ende der Region Heilbronn. "Es war zunächst alles kaputt", berichtet Konrad Schlör aus Reicholzheim bei Wertheim. "So etwas Schlimmes habe ich in 40 Jahren nicht erlebt. Wir haben zunächst gedacht, es kommt gar nichts mehr.“ Erst nach vier Wochen habe der zweite, recht schnelle Austrieb begonnen.  "An einigen Trieben hängen auch kleine Träubchen, im Schnitt zwei bis drei pro Stock", die zum Glück schon Ende Juni verblüht seien, also wie vor 30 Jahren.

Entsprechend dürfte die Lese bei Schlör erst im Oktober beginnen.  "Die Qualität dürfte stimmen, aber die Menge nur 20 bis 30 Prozent eines normalen Ertrags betragen, wobei wir sowieso nur 40 bis 50 Liter pro Ar ernten", also die Hälfte des Üblichen. Gleichzeitig sei der Arbeitsaufwand um ein Drittel höher als sonst, weil man ungewöhnliche viele überschüssige Triebe ausbrechen musste. "Wir müssten die Preise des 2024ers also ums Dreifache erhöhen, aber der umkämpfte Markt lässt natürlich höchsten moderate Erhöhungen zu. 

  Nach oben