Warum die Staatsbürgerschaft in Deutschland besonders geschützt ist
CDU-Chef Friedrich Merz findet es vorstellbar, Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft die deutsche abzuerkennen. Welches Gefühl das bei Menschen mit zwei Staatsangehörigkeiten auslöst.

„Die deutsche Staatsbürgerschaft darf nicht entzogen werden“, sagt Artikel 16 des Grundgesetzes. Friedrich Merz hat sich trotzdem dafür ausgesprochen, Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft, die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen, sollten sie straffällig werden. Die Spitzen von SPD und Grünen zeigten sich empört und warfen Merz vor, mit „rechtspopulistischen Feuer“ zu spielen, wie es die SPD-Vorsitzende Saskia Esken formuliert.
Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, schrieb auf seinem Linkedin-Profil, der Vorschlag sei ein „Dammbruch“ und „würde zu einer Zweiklassengesellschaft bei der Staatsbürgerschaft führen“. Was würde der Vorschlag des CDU-Vorsitzenden für Betroffene bedeuten?
Doppelte Staatsbürgerschaft bei Straftaten entziehen?
Ich selbst besitze zwei Staatsbürgerschaften: Die deutsche und die französische. Meine Mutter ist Französin und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland, mein Vater ist deutsch. Ich bin in Deutschland geboren und hier aufgewachsen, spreche sowohl deutsch als auch französisch. Wenn ich nach Südfrankreich fahre, fühlt es sich für mich nach Heimat an, wenn ich wieder nach Deutschland zurückfahre, hinterlässt es immer Wehmut. Trotzdem ist Deutschland mein Zuhause.
Auf Nachfrage erklärte ein CDU-Sprecher, es gehe Merz und der CDU ausdrücklich „nicht um Menschen, die zwei Pässe haben und seit Jahren friedlich in unserem Land leben“. Weiter sei es in dem Gespräch um mögliche Reaktionen auf den Anschlag in Magdeburg gegangen und um den Umgang mit straffälligen Personen. Doch würde man das Staatsbürgerschaftsrecht dahingehend ändern, bei doppelter Staatsbürgerschaft die deutsche entziehen zu können, dann wären erst einmal alle Doppelstaatler davon betroffen. Der Grünen-Vorsitzende Felix Banaszak erklärte, die Union solle auch im Wahlkampf nicht den Eindruck erwecken, „dass sie an so grundlegenden Säulen unseres Rechts sägen will“. Besitzt man wie ich zwei Staatsbürgerschaften, dann fühlt man sich bei solchen Forderungen potenziell angesprochen und es hinterlässt ein mulmiges Gefühl.
Experten nennen Merz´ Vorschlag unverhältnismäßig und verfassungswidrig
Unter Straftaten fallen juristisch gesehen nicht nur Mord und Totschlag, sondern beispielsweise auch Schwarzfahren, Gefährdung im Straßenverkehr und Diebstahl. Experten ordnen die Forderung von Merz als „unverhältnismäßig“ ein, das Innenministerium hält den Vorschlag für verfassungswidrig. Konkret könnte das beispielsweise bedeuten: Wenn ich zwei Mal nachweislich ohne Ticket Zug fahre, gefährde ich meine Staatsbürgerschaft - diese Vorstellung ist genauso absurd wie beängstigend.
Wer eine Straftat begeht, sollte nach dem Strafrecht verurteilt werden, unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Besonders in Deutschland hat der Schutz der Staatsbürgerschaft aus historischen Gründen besondere Bedeutung. Noch nie wurde dieser Schutz nach dem Zweiten Weltkrieg infrage gestellt. Lediglich die AfD forderte 2017, straffälligen Doppelstaatlern die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen.
Schutz der Staatsbürgerschaft: Historische Gründe aus der Zeit des Nationalsozialismus
Der Schutz der Staatsbürgerschaft in Artikel 16 des Grundgesetzes ist eine Reaktion auf die willkürliche Entziehung der Staatsangehörigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus. Am 14. Juli 1933 wurde das „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit“ verabschiedet.
Demnach konnten Einbürgerungen, „die nicht erwünscht waren“ und zwischen 1918 und 1933 stattfanden, annulliert werden. Das betraf insbesondere jüdische Bürger. Von der Ausbürgerung betroffen waren unter anderem Willy Brandt, Hannah Arendt, Thomas Mann und Bertolt Brecht.