Prozessprotokoll
Das gesamt Protokoll der 192 Verhandlungstage mit rund 14000 Seiten ist unter www.stammheim-prozess.de abrufbar.
192 Tage lang wurde in Stuttgart-Stammheim gegen Gudrun Ensslin, Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe verhandelt. Keiner der Angeklagten erlebte ein rechtskräftiges Urteil.
Als Dr. Theodor Prinzing als Vorsitzender Richter am 21. Mai 1975 den Prozess gegen die erste Generation der RAF in Stuttgart-Stammheim eröffnete, war einer der Angeklagten bereits verhungert. Bis zum Prozessende sollten der Chefankläger und eine weitere Angeklagte nicht mehr leben und Prinzing als Richter abgesetzt worden sein. Keiner der Angeklagten erlebte ein rechtskräftiges Urteil.
Gudrun Ensslin, Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe mussten sich vor dem Großen Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart wegen mehrerer Morde, Banküberfällen und anderer Straftaten verantworten. Und der Staat hatte vorgesorgt. Speziell für diesen Prozess waren Gesetze geändert oder neu eingeführt worden. Die Zahl der Vertrauensanwälte wurde auf drei begrenzt, Anwälte konnten auf bloßen Verdacht der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung ausgeschlossen werden und verhandelt wurde auch ohne die Angeklagten, wenn diese sich selbst in den Zustand der Verhandlungsunfähigkeit gebracht hatten.
Die Folgen waren gravierend. In Stammheim wurde teilweise in einer Konstellation verhandelt, die zuvor undenkbar und auch nach 1975 noch zumindest fragwürdig war. So stand Andreas Baader zu Prozessbeginn ohne Vertrauensanwalt da. „Die Verteidigung ist zerschlagen“, konstatierte Otto Schily vor dem Stammheimer Gebäudekomplex mit Haftanstalt und direkt angrenzendem Gerichtsgebäude. Und Jan-Carl Raspes Anwalt Rupert von Plottnitz, später Justizminister in Hessen, sprach vom „Stammheimer Landrecht“, Kurt Groenewold von einer „Schande“.
Der Verteidiger Gudrun Ensslins und spätere Bundesinnenminister Otto Schily lieferte sich im Gericht heftige Wortgefechte mit Richter Prinzing. Auch um die massiven Sicherheitsvorkehrungen. Das Gebäude in Stammheim war extra für den Prozess errichtet worden, mit Doppelschleusen, Netzen, die Befreiungsversuche mit Hubschraubern verhindern sollten, mit Metalldetektoren. Und mit genauer Durchsuchung von allem und jedem, der ins Gebäude wollte. „Ich musste mich an die Wand stellen,“ schrie Schily den Richter an, „sie haben das angeordnet!“ Der Wutausbruch ist auf Tonband erhalten, ebenso wie eine Entgleisung von Rupert von Plottnitz. Er skandierte „Heil, Dr. Prinzing!“
Dass die Sicherheitsvorkehrungen zwar martialisch anmuten, in Wirklichkeit aber wohl nicht das Papier wert waren, auf dem sie standen, bewies sich nach der Urteilsverkündung im Herbst. Andreas Baader und Jan-Carl Raspe erschossen sich in ihren Zellen mit Pistolen, die Verteidiger in Handakten ins Gericht geschmuggelt haben sollen, nebst einer Minox-Kamera. Erwischt wurde aber nie jemand, die Rekonstruktion beruht auf der Aussage eines einzelnen Kronzeugen. Auch deshalb gibt es bis heute (eher unbegründete) Zweifel an der Selbstmordthese bei den drei in Stammheim gestorbenen RAF-Mitgliedern.Dieser Prozess und die Begleitumstände setzten die Regierenden dermaßen unter Druck, dass manche schon das Ende der Demokratie wähnten, während draußen eine Gruppe von vielleicht zwei Dutzend RAF-Mitglieder der so genannten zweiten Generation entführte und mordete, um ihre Gesinnungsgenossen freizupressen. Generalbundesanwalt Siegfried Buback wurde samt Begleiter am 7. April 1977 in Karlsruhe erschossen. Dieser Mord war wohl mit ausschlaggebend dafür, dass der Prozess zu Ende geführt wurde. Denn kurz zuvor war bekannt geworden, dass Gespräche zwischen Anwälten und Angeklagten abgehört wurden. Ein ungeheuerlicher Rechtsbruch.
Da war bereits eine ganze Gruppe der RAF ausgehoben worden und eine weitere hatte die deutsche Botschaft in Stockholm besetzt: ohne Erfolg. Bundeskanzler Helmut Schmidt lehnte einen Geiselaustausch ab, zwei Botschaftsangehörige starben. Ebenso der Bankier Jürgen Ponto bei einem Entführungsversuch.
Das Urteil fiel am 192. Verhandlungstag, am 28. April 1977: lebenslängliche Haft wegen Mordes. Richter Theodor Prinzing war da schon wegen der Besorgnis der Befangenheit abgesetzt worden. Nach dem Urteil entführte die RAF Hanns Martin Schleyer und die Lufthansa-Boeing „Landshut“. Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe starben durch Suizid in der Nacht zum 18. Oktober 1977 bevor das Urteil rechtskräftig wurde. Keiner von ihnen war bei der Verkündung des Urteils im Gerichtssaal anwesend gewesen.
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