Studie: Jeder Dritte im Land fühlt sich einsam
Einsamkeit ist mittlerweile eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Eine neue Studie für Baden-Württemberg bestätigt nun den Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Demokratieverdrossenheit.

In Baden-Württemberg fühlen sich gut 38 Prozent der Menschen einsam, am häufigsten Personen in der Lebensmitte. Das geht aus einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung im Auftrag des Sozialministeriums hervor. „Das sind enorm hohe Zahlen“, sagte Anja Langness, Projektleiterin der Bertelsmann-Stiftung, am Montag bei der Präsentation der Ergebnisse. Dabei wirke sich Einsamkeit nicht nur auf Gesundheit und Lebenszufriedenheit aus, sondern auch auf das Vertrauen in Gesellschaft und Demokratie.
Studie zu Einsamkeit in Baden-Württemberg: Sozialminister sieht Land gut aufgestellt
„Menschen, die sich einsam fühlen, verlieren häufiger das Vertrauen in Institutionen, engagieren sich seltener ehrenamtlich oder politisch und ziehen sich stärker zurück“, erläuterte Langness. Das zeige die hohe gesellschaftliche Relevanz des Problems: „Einsamkeit schwächt nicht nur einzelne Menschen, sondern auch das demokratische Miteinander.“
Die Studie ist nicht die erste zum Thema. Nach Angaben der Autoren fehlte bislang aber eine systematische regionale Differenzierung. Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) sagte, das Land sei im Kampf gegen Einsamkeit bereits sehr gut aufgestellt, plane aber weitere, lokal vernetzte Maßnahmen, um betroffene Gruppen genauer zu erreichen. Die Autoren haben Menschen anhand ihrer Antworten als „stark einsam“, „moderat einsam“ oder als „nicht einsam“ eingruppiert. Insgesamt sind dabei 61,8 Prozent der Befragten nicht einsam, 30,1 Prozent moderat und 8,1 Prozent stark einsam. Psychologieprofessorin Maike Luhmann von der Ruhr-Universität Bochum zufolge liegt Baden-Württemberg deutschlandweit damit im Mittelfeld. Luhmann gehört zu den drei Autoren der Studie. Zusammen mit ihrer Fachkollegin Ricarda Steinmayr von der Technischen Universität Dortmund vertrat sie das Trio bei der Pressekonferenz.
Wenig Unterschied zwischen Geschlechtern - Aber bei Einkommen
Die Wissenschaftler treffen auch eine Unterscheidung zwischen emotionaler und sozialer Einsamkeit. Bei ersterer wird Bindungstiefe vermisst, wie sie in einer Partnerschaft gefunden werden kann, bei letzterer mangelt es eher an der Anzahl von Kontakten. Mit 65,9 Prozent haben fast zwei Drittel der Menschen in Baden-Württemberg demnach genug soziale Kontakte und sind in dieser Hinsicht „nicht einsam“. Wenn man nur auf emotionale Einsamkeit schaut, sind allerdings mehr als die Hälfte der Baden-Württemberger betroffen – 44,3 Prozent moderat und 11,1 Prozent stark.
Einsamkeit betrifft laut Studie Männer und Frauen, Alte und Junge in ähnlichem Ausmaß. „Auffällig war ein leichter Anstieg des Einsamkeitserlebens in der Lebensmitte (30-65 Jahre), was im Gegensatz zu anderen aktuellen Forschungsergebnissen steht“, heißt es in dem Bericht lediglich.
Große Unterschiede gebe es beim Einkommen, unterstrich Psychologin Luhmann. Menschen mit einem Monatseinkommen unter 2000 Euro sind zu 47 Prozent „nicht einsam“, Menschen, die monatlich mehr als 5000 Euro zur Verfügung haben, dagegen zu 73 Prozent. „Einer der Gründe dafür ist, dass soziale Teilhabe häufig auch finanzielle Mittel erfordert“, erklärte Steinmayr. Bertelsmann-Expertin Langness ergänzt: „Wir brauchen eigentlich dritte Orte, soziale Orte, die kostenfrei sind und die jeder nutzt.“ Andere Faktoren für Einsamkeit sind demnach niedriger Bildungsstand, direkter Migrationshintergrund und schlechter Gesundheitszustand. Menschen mit einem Hochschulabschluss etwa sind nur zu sechs Prozent „sehr einsam“, Menschen ohne Schulabschluss hingegen zu 28 Prozent.
Innovative Projekte gegen Einsamkeit
„Je zufriedener die Befragten mit der Demokratie hierzulande waren, desto weniger einsam fühlten sie sich“, stellt die Studie außerdem fest. Menschen mit schlechter Meinung von der Demokratie sind zu 50 Prozent stark oder moderat einsam, Menschen mit hoher Zufriedenheit dagegen nur zu 31 Prozent.Verantwortung „Wir brauchen wieder mehr das Zusammenleben als Verantwortungsgemeinschaft“, sagte Lucha. Neben bestehenden Projekten plant sein Haus fünf Ideenwettbewerbe für innovative Projekte gegen Einsamkeit. Zudem soll die Landesgesundheitskonferenz in diesem Monat vertieft auf das Thema eingehen. Lucha verwies außerdem auf das Förderprogramm „Connected Minds“ der Baden-Württemberg-Stiftung, das ebenfalls im November beginnt.

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