Wo extrem gefährliche Straftäter leben
In der Freiburger JVA befinden sich 55 Männer aus dem Land in Sicherungsverwahrung. Die meisten waren schwere Gewaltverbrecher und Sexualstraftäter. Der Weg in die Freiheit ist steinig.

"Wir haben hier keine Monster", sagt Thomas Gorzel. Es mache aber etwas mit den Menschen, wenn sie keine Perspektive auf Entlassung sehen. Der 51-Jährige spricht über Männer in Sicherungsverwahrung. Die verurteilten Straftäter haben ihre Gefängnisstrafen zwar abgesessen. Trotzdem bleiben sie danach weiter hinter Gittern.
Gerichte im Land Baden-Württemberg schätzen sie als so gefährlich ein, dass sie weggesperrt bleiben - zum Schutz der Bürger. In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Freiburg befindet sich die Abteilung Sicherungsverwahrung für Baden-Württemberg. Dort leben 55 Männer.
Nur eine Frau befindet sich in Sicherungsverwahrung
Thomas Gorzel ist Vollzugsleiter. Er bescheinigt den meisten Männern eine schwere Persönlichkeitsstörung. "Das zeigt sich in der Art, wie sie Beziehungen aufnehmen", sagt er. Bei dem Großteil handelt es sich um einstige Sexualstraftäter.

Frauen werden kaum als so gefährlich eingeschätzt, dass sie nicht mehr raus dürfen. In Baden-Württemberg befindet sich nur eine Täterin in Sicherungsverwahrung. Dies teilt das Landesjustizministerium auf Anfrage mit.
Im Frauengefängnis in Schwäbisch Gmünd lebt sie in einem für sie abgetrennten Bereich. Verurteilt wegen Brandstiftung und Raub, soll sie äußerst aggressiv sein und wie wild Mitgefangene und Bedienstete attackieren.
Zimmer sind größer als Zellen
Die Freiburger JVA ist ein sternförmiger Bau aus rotem Backstein. Die Abteilung Sicherungsverwahrung befindet sich auf demselben Gelände in einem extra Gebäude, rechteckig, schmucklos, zweckmäßig. Die Haftbedingungen sind besser als im normalen Strafvollzug. Dies schreibt das Gesetz vor, als eine Art Entschädigung für den andauernden Entzug der Freiheit nach der verbüßten Haftstrafe.
Die Männer in der Sicherungsverwahrung leben auf unterschiedlichen Stockwerken in vier Wohngruppen zusammen. Es gibt Wohnzimmer, Küchen, Werkstätten, einen Hof. Im Flur, hinter einem Glasbau, sitzen Vollzugsmitarbeiter. Die Bereiche sind kameraüberwacht.
Sicherungsverwahrte müssen nicht arbeiten
Von 6.25 Uhr an stehen die Zimmertüren durchgehend offen, sagt Bereichsdienstleiter Stefan Wagner (51). Das Wort Zelle vermeiden sie in der Abteilung. Die Mehrheit, etwa 60 Prozent, gehe in den Werkstätten arbeiten, obwohl sie das laut Gesetz nicht müssen. Die anderen spielten Playstation, schauten Fernsehen, schliefen länger. Anders als im regulären Gefängnis sind die Zimmer mit Telefonen ausgestattet. Die Bewohner haben außerdem die Möglichkeit, ihre Türe von innen zu verschließen. Vollzugsmitarbeiter können sie jederzeit von außen öffnen.
"Der gesamte Rahmen ist therapeutisch gestaltet", erklärt Dr. Silvia Schneider. Die 57-Jährige ist Psychologische Leiterin der Sicherungsverwahrung. Behandlung und Therapie stehen im Vordergrund. Etwa 60 Beschäftigte arbeiten dort. Jede Wohngruppe wird von einem Team aus Sozialpädagogen, Therapeuten und Vollzugsbediensteten betreut. Nur ein Teil lehnt jegliche therapeutische Hilfe ab. Eine Station ist derzeit gefährlichen und gemeinschaftsunfähigen Sicherungsverwahrten vorbehalten. "Unsere Aufgabe ist es, immer wieder auf die Untergebrachten zuzugehen", sagt Gorzel.
Gutachter klären: Wie gefährlich ist jemand?

Es ist nicht so, dass die Männer keine Chance haben, jemals wieder in Freiheit zu leben. Der Weg ist aber steinig. In Freiburg befindet sich ein Einziger im offenen Vollzug. Die Landgerichte prüfen jährlich, ob ein Sicherheitsverwahrter auf eigenen Antrag hin freikommt. Der Betreffende muss nachweisen, dass er sich gebessert hat.
Nach zehn Jahren kehrt sich die Beweislast um. Ab dann müssen Gerichte begründen, warum eine Freilassung nicht in Frage kommt. Externe Gutachter sind in die Entscheidungen eingebunden. Die Frage: Ist jemand noch gefährlich? Sind von ihm schwere Straftaten zu erwarten mit erheblichen Folgen für potenzielle Opfer?
Manche wollen nicht mehr raus
"Einige kommen nach zehn Jahren noch nicht raus", sagt Schneider. Die Behandlungsprozesse seien lang. Es gebe außerdem welche, die scheinen gar nicht frei leben zu wollen. Viele haben den Großteil ihres Lebens in Institutionen verbracht: als Minderjährige im Heim, im Jugendgefängnis, später in einer JVA. "Ohne diesen institutionellen Halt kommen sie gar nicht klar", sagt Schneider.
In der Vergangenheit hat sich das Strafmaß für Sexualstraftäter immer weiter verschärft, erklärt Vollzugsleiter Thomas Gorzel. "Die Schwelle, in Sicherungsverwahrung zu kommen, ist niedriger." Dafür gebe es inzwischen mehr therapeutische Möglichkeiten als früher, sich eine Entlassungsperspektive zu erarbeiten, ergänzt Schneider.
Fälle aus Heilbronn
Das Heilbronner Landgericht hat seit 2019 bei keinem Verurteilten eine Sicherungsverwahrung angeordnet, teilt Gerichtssprecher Lutz Hils mit. In einem Fall im Jahr 2019 habe sich das Gericht dies aber vorbehalten. Ein Mann stand wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung vor Gericht. Er galt als sehr gefährlich. Das Gericht hielt es für wahrscheinlich, dass er weitere Taten begeht.
In einem anderen Fall, berichtet Hils, beantragte die Staatsanwaltschaft Sicherungsverwahrung. Das Gericht sah es allerdings anders. Der Beschuldigte war wegen gefährlicher und vorsätzlicher Körperverletzung sowie Nötigung zu einer Gesamtstrafe von dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Diese Strafe sei nicht hoch genug gewesen, um Sicherungsverwahrung zu begründen, erklärt Hils. Die komme nur unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht. Nicht nur die Gefährlichkeit eines Täters spielt eine Rolle; Vorstrafen oder die Höhe einer Strafe sind zu berücksichtigen.
Gutachter sieht Therapieerfolge
In einem dritten Fall, der 2019 vor dem Landgericht Heilbronn verhandelt wurde, kam ein verurteilter Sexualstraftäter nach Ablauf seiner siebenjährigen Haft frei. Der Mann war wegen des Missbrauchs von drei Jungen ins Gefängnis gekommen. Die im Urteil in Aussicht gestellte Sicherungsverwahrung hinterher hob das Gericht auf. Ein psychologischer Gutachter sah deutliche Therapieerfolge, der Mann habe im Gefängnis seine Taten aufgearbeitet, es würde ein nur sehr geringes Risiko von ihm ausgehen.
Kontakt zu ihren Familienangehörigen haben die Inhaftierten in Freiburg kaum. "Es gibt wenige, die draußen stabil gelebt haben", sagt die Psychologin Schneider. Vier Mal im Jahr steht ihnen eine Ausführung zu, immer begleitet von zwei Beamten. Jeder Freigang wird beim Justizministerium beantragt. "Es ist immer eine Risikoabwägung", sagt Bereichsdienstleiter Stefan Wagner. Wie groß die Fluchtgefahr ist - auch das schätzen Gutachter ein. "Manchen macht das Leben draußen Angst", sagt Schneider. "Und manche haben Angst, hier drinnen zu sterben."
Eckdaten der Sicherungsverwahrung
Altkanzler Gerhard Schröder forderte 2001 eine härtere Gangart gegen Kinderschänder: "Wegsperren für immer." 2011 erklärte das Bundesverfassungsgericht die bisherige Praxis der Sicherungsverwahrung als verfassungswidrig. 2013 trat in Baden-Württemberg ihre Reform in Kraft. Therapie und Resozialisierung traten stärker in den Vordergrund. Inzwischen kommen kaum mehr Betrüger oder Diebe in Sicherungsverwahrung, sondern nur schwerste Gewalt- und Sexualstraftäter.


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