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"Think big" - Hermann fordert Verkehrswende

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Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) setzt auf einen Mobilitäts-Mix zur Lösung der Verkehrsprobleme. Zudem kritisiert er die Autoindustrie und wirft ihr vor, die Transformation hin zur E-Mobilität bewusst zu verzögern.

Von Michael Schwarz
 Foto: Berger, Mario

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) ist bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Der 66-Jährige wirft der Autoindustrie schwere Versäumnisse vor bei der Transformation hin zur Elektromobilität.

 

Was muss passieren, um aus der täglichen Staufalle herauszukommen?

Hermann: Die Angebote umwelt- und klimafreundlicher Mobilitätsformen müssen ausgeweitet und verbessert werden. Dazu gehören der ÖPNV, Fuß- und Radverkehr sowie das Mitfahren und Teilen von Autos. Wichtig sind dabei attraktive ÖPNV-Tarife. Einen großen Schritt in diese Richtung haben wir mit dem BW-Tarif gemacht, der zu einer Senkung der Ticketpreise führt.

 

Wie muss ein langfristiges ÖPNV-Konzept in den nächsten Jahrzehnten aussehen, um den Großraum Stuttgart − also zwischen Tübingen und Heilbronn − zu entlasten?

Hermann: Im Großraum Stuttgart hat das Land vor einigen Jahren schon mit allen wichtigen Akteuren einen ÖPNV-Pakt geschlossen, um die öffentlichen Verkehrsmittel auszubauen und leistungsfähiger zu machen. Einen ähnlichen Pakt unter Einbeziehung der regionalen Wirtschaft haben wir für die Region Heilbronn/Neckarsulm vereinbart. Auf den Schienenstrecken, die aus dem Umland auf Stuttgart zuführen, werden vom kommenden Jahr an die Metropolexpresszüge im Halbstundentakt fahren. Wir werden in der Region Stuttgart das Angebot im regionalen Schienenverkehr um 37 Prozent erhöhen. Mit zusätzlichen Expressbus- und Regiobuslinien schließen wir Lücken im Schienenverkehr. Zudem ist jeder auch selbst dafür verantwortlich, sich möglichst umweltfreundlich fortzubewegen.

 

Gibt es genug Park-and-Ride-Plätze?

Hermann: Natürlich brauchen wir mehr Park-and-Ride-Plätze und Parkhäuser, damit die Leute in den ÖPNV umsteigen können. Aber wir können nicht für die hunderttausende Autos Parkplätze schaffen, die täglich nach Stuttgart einpendeln. Deswegen sollten Pendler, wo es möglich ist, schon auf dem Weg zur Haltestelle auf das Auto verzichten.

 

Welche Rolle spielt in Zukunft die Deutsche Bahn?

Hermann: Die gesamte Schienenbranche ist von der Deutschen Bahn durch schlechte Leistungen beschädigt worden. Wenn die aktuellen Übergangsverträge auslaufen, wird die Deutsche Bahn deutlich an Marktanteilen verlieren. Dank der erfolgreichen Ausschreibungen wird ihr Anteil von 80 auf 50 Prozent reduziert. Diese Entwicklung zu mehr Wettbewerb wird zum Nutzen der Fahrgäste sein.

 

Mal generell: Hat die Politik die Zunahme des Individual- und öffentlichen Verkehrs zu lange unterschätzt?

Hermann: Die Bundesregierung hat zu lange gehofft, dass durch neue Autos automatisch die Luft besser wird. Tatsächlich ist jedoch vieles schlechter geworden. So geht es beispielsweise bei der Modernisierung der Schiene nicht voran. Wir als Land haben ein Elektrifizierungskonzept für die Bahn vorgelegt. Der Bund hat dies zwar im Koalitionsvertrag stehen, aber es passiert nichts Substanzielles.

 

Bald soll Klarheit bei den Hardware-Nachrüstkosten für alte Diesel herrschen. Kann sich der Bund bei den Autobossen nicht durchsetzen?

Hermann: Von einem selbstbewussten Verhalten der Politik auf Bundesebene gegenüber der Autoindustrie kann keine Rede sein. Es ist nur ein ständiges Verstehen der Anliegen der Automobilbranche − und die Kunden sind zweitrangig. Die Automobilindustrie hat Fahrzeuge mit viel zu hohem Schadstoffausstoß geliefert und muss deshalb auch für die nachträgliche Abgasreinigung aufkommen. Die Bundesregierung muss den Konzernen endlich mal klare Grenzen aufzeigen.

 

Warum sollte sie das tun?

Hermann: Die Autoindustrie hat einen extremen Imageschaden für die deutsche Wirtschaft angerichtet und ist weltweit in Verruf geraten. Mit welcher Branche geht man so mit Samthandschuhen um, wenn sie so betrügerisch gehandelt oder getrickst hat? Wir sind auf dem Weg zur Digitalisierung und Elektrifizierung − und die Konzerne kleben noch an den alten Dieseln, die man angeblich nicht nachrüsten kann.

 

Gibt es Unterschiede an den verschiedenen Produktionsstätten?

Hermann: Interessant ist ja, dass die deutsche Autoindustrie in Kalifornien oder in China wegen der großen Konkurrenz und der Auflagen der Politik bereit ist, mehr in die Elektromobilität zu investieren. Und in Deutschland erzählt man, dass die Elektrifizierung nicht so schnell geht. Ich habe den Eindruck, hierzulande macht man das Geschäft mit teuren schweren Dieselfahrzeugen und SUVs und finanziert so die Transformation des eigenen Konzerns, aber nicht zum Nutzen in Deutschland. Wenn deutsche Autobauer nicht liefern können, wird man halt anderswo E-Autos kaufen. Zum Beispiel haben Renault oder Mitsubishi Fahrzeuge, die auch für den normalen Bürger erschwinglich sind.

 

Sie waren zuletzt in Kalifornien und Kanada. Was nehmen Sie mit?

Hermann: "Think big". Wer nicht groß denkt, erreicht nichts Großes. In Deutschland und auch in Baden-Württemberg hat man den Eindruck, man versucht den möglichst kleinsten Nenner zu finden. In Stuttgart muss man um jeden Meter Radweg und um jede Busspur kämpfen. Groß denken wäre: Radnetz und Busspuren für die ganze Stadt.

 

Die Basis der Südwest-CDU hat sich gegen großräumige Fahrverbote ausgesprochen. In der Regierung setzt die CDU diese um. Ein Widerspruch?

Hermann: Die CDU-Basis fällt ihrer eigenen Landtagsfraktion in den Rücken. Diese hat viele wirksame Maßnahmen und damit auch die Fahrverbote für Euro vier Diesel in Stuttgart mitbeschlossen. Das zeigt: Ein Großteil der CDU ist nicht auf der Höhe der Zeit, wenn es um Klima- und Umweltschutz geht.

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