Strobl und Schäuble: "Streit ist das Salz der Demokratie"
Über lange Jahre haben es die beiden CDU-Politiker Wolfgang Schäuble und Thomas Strobl vermieden, gemeinsam interviewt zu werden. Kurz vor Wolfgang Schäubles 80. Geburtstag im September hatten sie mit dieser Regel gebrochen.

Sie haben noch nie gemeinsam ein Interview gegeben, warum?
Wolfgang Schäuble: Wir sind familiär sehr eng verbunden und wir trennen das klar von der Politik. Wir haben aufeinander Rücksicht genommen. Ich habe mich bemüht, mich in landespolitischen Dingen niemals so zu äußern, dass man es gegen ihn verwenden könnte. Und er hat es bundespolitisch, als ich Verantwortung getragen habe, genauso gehalten. Das ist ja nicht nur angenehm. Ich habe das bei meinem jüngeren Bruder schon erlebt, als er in die Landespolitik gegangen ist. Da hieß es immer, "der kleine Bruder." Das ist bei Thomas Strobl schon etwas anders. Aber es wird halt trotzdem immer noch geschrieben "der Schwiegersohn".
Diskutieren Sie denn politische Fragen auch mal privat?
Thomas Strobl: Die anderen in der Familie würden es nicht dulden, wenn wir stundenlang politisieren würden. Ab und zu reden wir natürlich auch mal über Politik. Das ist jetzt auch kein Tabuthema. Früher hatte ich den Eindruck, dass manche denken, wir telefonieren jeden Tag miteinander und stimmen uns haarklein ab. Das war nie der Fall.
Nach Bundestagswahlen stand der Name Strobl oft auf potenziellen Kabinettslisten. War die Stellung Wolfgang Schäubles ein Hindernis?
Schäuble: Ja, das ist so. Das gilt auch für andere Baden-Württemberger. Ich bin natürlich auch anderen im Weg. Auch den jungen Leuten in meinem Wahlkreis. Die machen sich jetzt zu Recht Hoffnung für die nächste Bundestagswahl.
Wird politische Erfahrung heute überhaupt noch wertgeschätzt?
Strobl: Gerade in diesen aufgeregten Zeiten ist es gut, dass es auch Politiker gibt, die schon mal Krisen er- und durchlebt haben. Natürlich sind die Krisen nie gleich, aber beim Krisenmanagement gibt es doch Regeln und Gesetzmäßigkeiten - da schadet Erfahrung durchaus nicht.
Herr Schäuble, ertappen Sie sich mitunter beim Gedanken, dass Politiker in dieser multiplen Krisenlage vor so vielen Problemen stehen, dass das traditionelle Handwerkszeug nicht mehr taugt?
Schäuble: Ich sehe es ein bisschen anders. Was mir neu vorkommt, ist die Geschwindigkeit, mit der sich Dinge und Themen verändern. Das hat auch mit technologischem Fortschritt zu tun. Aber ich habe noch eine sehr gute Erinnerung an die Kubakrise und den Mauerbau in Berlin. Wir haben in Zeiten des Kalten Kriegs gelebt, in Zeiten der gesicherten gegenseitigen Vernichtung. Das zu Ende zu denken, konnte einen in den Wahnsinn treiben. Deswegen war die deutsche Wiedervereinigung ja auch ein Wunder. Ich habe noch bis zuletzt Angst gehabt, es geht wieder schief. Und wenn man das weiß, sind die Probleme heute nicht größer. Natürlich haben wir geglaubt, das hätten wir hinter uns. Ich finde, am besten hat das Frau Kramp-Karrenbauer ausgedrückt. Sie hat sinngemäß gesagt: Ich bin so wütend auf uns, wir haben alles gewusst und wollten es nicht sehen.
Sie warnten jüngst mit Blick auf mögliche Proteste im Winter, man müsse aufpassen, dass das nicht eine sich selbst erfüllende Prophezeiung werde.
Schäuble: Ich halte dieses Gerede von Politikern für völlig unverantwortlich, weil man Proteste natürlich herbeireden kann. Eigentlich muss man den Leuten sagen: Natürlich wird das schwierig, natürlich ist das ein Riesenproblem, natürlich wissen wir nicht, was Putin noch macht. Deswegen ist das eine fürchterlich große Verantwortung.
Braucht es in diesen Zeiten mehr Streit oder mehr Kooperation?
Schäuble: Streit ist das Salz der Demokratie. Der Streit sollte allerdings einigermaßen rational, auch ein Ringen um Alternativen sein. Ich war immer ein Gegner der Großen Koalition mit diesen ewigen Kompromissen. Wir müssen auch den Mut haben, mit Mehrheiten zu entscheiden und den Minderheiten zumuten, die Mehrheitsentscheidung zu akzeptieren, wenn ausgiebig darüber gestritten wurde.
Wurde früher im Parlament nicht eigentlich mehr gestritten?
Schäuble: Ha ja! Herbert Wehner war schon ziemlich gefürchtet als Zwischenrufer - und Franz-Josef Strauß. Übrigens auch Helmut Schmidt. Der hat die Gegner schon verdroschen. Polemik gehört halt auch dazu.
Strobl: Einen Unterschied freilich gibt es. Die Themen, über die so heftig gestritten wurde, waren von großer Bedeutung für die Bevölkerung. Heute habe ich zuweilen den Eindruck, es wird geradezu an der Bevölkerung vorbeigestritten über allerlei unwichtige Dinge, die allenfalls in einer politischen Blase für bedeutsam gehalten werden. Und ansonsten gibt es insbesondere in Krisenzeiten übrigens auch eine gute Gemeinsamkeit unter Demokraten. Viele haben ja früher angezweifelt, dass das ordentliches Regieren zwischen den Grünen und der CDU im Land überhaupt möglich ist.
Herr Schäuble, hätten Sie gerne mal mit den Grünen regiert?
Schäuble: Ja, weil ich es interessanter fand als die Große Koalition. Ich war ja schon in den 1990er Jahren als Fraktionsvorsitzender verrufen als ein Schwarzgrüner. Das war damals ein Schimpfwort. Mir fiel damals schon in meinem Wahlkreis auf: Die katholische Landjugend war bei den Grünen. Es war klar: Da machen wir was falsch. Und wir leiden immer noch darunter - auch in Baden-Württemberg.