Streit in Koalition wegen weiterer Fahrverbote
In Stuttgart sollen Fahrverbote für Euro-5-Diesel in mehreren Stadtbezirken kommen. Die Grünen wollen diese nun vorbereiten. Der Koalitionspartner CDU sieht trotz des jüngsten Urteils des Verwaltungsgerichts noch die Möglichkeit, neue Verbote zu vermeiden.

In der Landesregierung gibt es wieder Zoff wegen der Ausweitung der Fahrverbote in Stuttgart. Vor wenigen Tagen musste Grün-Schwarz vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht eine Niederlage einstecken.
Die Richter lehnten einen Eilantrag ab, mit dem das Land weiter Zeit gewinnen wollte. Sie erklärten in ihrer Urteilsbegründung aber auch, dass es deswegen nicht zwingend neue Fahrverbote geben müsse, um die Stickstoffdioxid-Werte in Stuttgart einzuhalten. Allerdings könnten sie nicht sehen, dass die bisherigen Maßnahmen zur Luftreinhaltung ausreichend seien. Soweit die rechtliche Situation.
Hier sind weitere Fahrverbote geplant
Doch was bedeutet das? In der fünften Fortschreibung des Stuttgarter Luftreinhalteplans wurde von der Landesregierung festgelegt, zur Einhaltung des Grenzwertes ein örtliches Euro-5-Diesel-Fahrverbot in der Innenstadt sowie in den Stadtbezirken Bad Cannstatt, Feuerbach und Zuffenhausen umzusetzen. Darauf beruft sich Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) und erklärte nach dem jüngsten Gerichtsurteil, bei der Luftreinhaltung gebe es "keine Atempause".
Hermann sieht Möglichkeiten ausgeschöpft
Mit Blick auf die vom Verwaltungsgericht abgelehnte Vollstreckungsabwehrklage sagte Hermann, die rechtlichen Möglichkeiten seien ausgeschöpft - und die neuen Fahrverbote für Euro-5-Diesel müssten nun in der Landeshauptstadt umgesetzt werden.
Der Koalitionspartner CDU ist allerdings mit der grünen Interpretation des Urteils nicht einverstanden. Bisher gebe es zwar bereits auf einzelnen Strecken in Stuttgart Fahrverbote für Euro-5-Diesel. Weitere Fahrverbote seien aber nicht unvermeidbar, heißt es in der CDU-Landtagsfraktion. "Das Gericht hat uns ausdrücklich Spielräume aufgezeigt, wie wir ein drohendes Fahrverbot im Herbst noch verhindern können", sagt der verkehrspolitische Sprecher Thomas Dörflinger. Diese Spielräume sollten auch genutzt werden.
Forderung nach neuem Gutachten
Dörflinger fordert das Stuttgarter Verkehrsministerium auf, einen Gutachter damit zu beauftragten, die Schadstoffwerte auf der Basis der bis Juni vorliegenden Werte für das ganze Jahr im Voraus zu berechnen. Weil es an einer "derartigen, aktuellen und gerichtsfesten Prognose mangelt", habe sich das Gericht auf alte Vorhersagen aus dem vergangenen Jahr stützen müssen, erläutert Dörflinger - und ruft Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dazu auf, "seinen Verkehrsminister beim Ankündigen neuer Fahrverbote einmal mehr zu bremsen".
Dörflinger hält weitere Sanktionen für "absoluten Irrsinn", da der zulässige Stickstoffdioxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft inzwischen an fast allen Messstationen in Stuttgart unterschritten werde.
Ankündigung des Staatsministeriums
Im grün geführten Stuttgarter Staatsministerium folgt man jedoch der Argumentation Hermanns. Laut einer Sprecherin würden die im Luftreinhalteplan Stuttgarts festgelegten Euro-5-Diesel-Fahrverbote in der sogenannten "kleinen Zone" - also im Talkessel sowie in den Stadtbezirken Feuerbach, Bad Cannstatt und Zuffenhausen - umgesetzt. Sie beruft sich zudem auf einen Beschluss des Koalitionsausschusses. In diesem Gremium befinden sich Vertreter von Grünen und CDU.
Beschilderung Anfang September abgeschlossen
Weiter erklärt die Sprecherin, die Beschilderung für die neuen Fahrverbote sei "erst Anfang September abgeschlossen". Hermann habe Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) und Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) deshalb gebeten, "Bußgeldbescheide erst ab 1. Oktober auszustellen und bis dahin lediglich zu ermahnen und zu informieren".
Der Zeitraum von drei Monaten bis Oktober sei als Übergangszeit zu verstehen, "innerhalb derer sich Betroffene auf das Verkehrsverbot einstellen und beispielsweise Software-Updates oder Hardware-Nachrüstungen durchführen können", sagt die Sprecherin weiter.
Situation
Seit Januar 2019 gibt es in Stuttgart ein Fahrverbot für Euro-4-Diesel. Seit Januar 2020 besteht zudem ein streckenbezogenes Fahrverbot für Euro-5-Diesel. Dieses gilt auf viel befahrenen Abschnitten, also zum Beispiel am Neckartor oder auch auf Teilbereichen der Heilbronner, der Hohenheimer oder der Hauptstätter Straße. Ein zonales Fahrverbot für Euro-5-Diesel würde nicht mehr nur einzelne Strecken, sondern gleich ganze Gebiete betreffen.
Kommentar: Politische Reflexe
In Stuttgart werden die Fahrverbote Schritt für Schritt ausgeweitet – und in der Landesregierung sind bei jeder weiteren Verschärfung die selben Reflexe festzustellen. Die Grünen berufen sich in einer eher staatstragenden Art auf Urteile von Gerichten, die zur Verbesserung der Luft keine andere Möglichkeit lassen, als weitere Fahrverbote auszusprechen.
Die CDU hingegen tut gerne so, als habe sie mit der Sache nichts zu tun und fordert in bester Oppositionsmanier, Restriktionen zu vermeiden. Denn im Gegensatz zu den Grünen, bei denen Teile der linken Klientel in der Partei Fahrverbote aus Gründen des Umweltschutzes generell befürworten, weiß die CDU, dass sie ihre Wähler abschreckt, würde sie auch nur den Anschein erwecken, man forciere die Umsetzung von Fahrverboten. Allerdings bewegt sich die CDU auf dünnem Eis, denn schließlich hat sie in den vergangenen Jahren in der Koalition mit den Grünen Fahrverbots-Beschlüsse mitgetragen.
Unabhängig davon wächst die Zahl der Fahrzeughalter stetig an, die die Verbote betreffen. Dies gilt vor allem, seitdem auch Diesel-Autos der Euro-5-Norm in den Fokus geraten sind. Ihnen wird bis jetzt nur die Einfahrt in einzelne Abschnitte von viel befahrenen Strecken verwehrt. Kommen jetzt aber – und danach sieht es aus – die zentralen Stadtbezirke komplett hinzu, ist das eine neue Dimension. Wer glaubt, im Windschatten der Corona-Pandemie wird das Thema untergehen, der irrt sich. Werden die neuesten Pläne Realität, sind sie bald für eine breite Masse zu spüren. Spätestens dann kann sich kein politischer Akteur mehr wegducken.