Stäffele satt beim Stimme-Lesersommer: Schritt für Schritt den Stuttgarter Kessel erklimmen
17 Stimme-Leser lernen die Landeshauptstadt Stuttgart über ungewohnte Wege neu kennen: Stufenaufgänge, die so genannten Stäffele. Was die Leser gelernt haben und was es mit dem Schellenturm auf sich hat.

Zum Ende der Tour kann sie es gar nicht recht glauben. "Dass das jetzt wirklich rund 1000 Stufen waren, da bin ich doch überrascht", sagt Agnes Dittkowski. Die Gemmingerin hatte sich gefreut, als sie für den Lesersommer gezogen worden war. Eine Stäffelestour hatte sie immer schon machen wollen, nun hat es geklappt. Als Begleiter ist ihr Sohn dabei. "Die Parkanlagen um die Villa Reitzenstein haben mir besonders gut gefallen", sagt der 32-jährige Marcel Dittkowski. "Anscheinend sind die erst seit dem Amtsantritt von Winfried Kretschmann für Jedermann zugänglich." Das werde er sich für Ausflüge merken. Seit 2015 wohnt Marcel Dittkowski in Stuttgart, es gäbe aber immer noch viel zu entdecken.
17 Leser bezwingen die Stuttgarter Stäffele beim Stimme-Lesersommer
Um Stuttgart aus einer weniger alltäglichen Perspektive kennenzulernen, haben sich 17 Leser für die Stäffelestour in Stuttgart an der Leonardkirche am Freitagmittag eingefunden. Die Teilnehmer, die sich quasi am Tor zum Bohnenviertel treffen, bilden ein motiviertes Grüppchen, bestehend aus Versierten und Wissensdurstigen. Karin Keicher und Heidrun Eckstein gehören zu ersteren. "Vor acht Jahren waren wir schon auf einer Stäffelestour und wollten sehen, wie sich Stuttgart so weiterentwickelt hat", sagt Keicher. Ihre Begleiterin betont, dass der Tourguide "so toll" erzähle und sich "überhaupt nicht verändert" habe.
Gemeint ist Oliver Mirkes - der 55-jährige selbstständige Stadtführer bietet Stäffelestouren seit elf Jahren an, seit er keine Lust mehr auf Büroarbeit hatte, wie er sagt. "Ich wollte erst Bergführer werden, aber das ist in Stuttgart schwierig", so der Ostfilderner vergnügt. "Immerhin hat man es beim Talkessel mit Hügeln zu tun."
Humorvoll führt Oliver Mirkes durch Geschichte und Gegenwart der Landeshauptstadt
Unterhaltsam berichtet Stadtführer Mirkes auf den ersten Metern, wie sich die ehemalige Leonhardsvorstadt zum Leonardsviertel wandelte und das Bohnenviertel eigene Wege ging. Dass Ideen kursieren, unter dem früheren Namen Leonhardsvorstadt wieder beide Viertel zusammenzuführen, berichtet Mirkes. Es wirkt kurios, gleichzeitig scheint das Quartier zu pulsieren. Es ist nicht die einzige Umbenennung: "Die Weberstraße hieß zunächst Webergasse, aber das klang viel zu bäuerlich", sagt Mirkes und bringt die Teilnehmer zum Schmunzeln. Hier teilt das Züblin-Parkhaus das Quartier. "Der Abriss wird ständig angekündigt, aber es passiert nichts. Vielleicht will man die Autofahrer nicht vor den Kopf stoßen."
Ein Foto als Überraschung für den Daheimgebliebenen
Nicole Kupitz fotografiert nach den ersten Stäffelen das Straßenschild Lorenzstaffel/Danneckerstraße. Eigentlich sei ihr Sohn angemeldet gewesen, ihren Ehemann Michael Kupitz zu begleiten. "Aber weil es die Stäffele zu Fuß hochgeht, hat er dann doch einen Rückzieher gemacht", sagt Nicole Kupitz launig. Nun schicke sie dem Sohn, der auch Lorenz heißt, das Bild des Staffel-Schildes. Vielleicht motiviert es ihn für das nächste Mal.
Am Vormittag hatte es geregnet, es geht ein kühlender Wind. Angenehm findet es Dietmar Hetzel, "nicht zu heiß", wie er sagt. Stuttgart kenne er meist nur von der Durchreise, sagt Hetzel und freut sich, ihm unbekannte Ecken zu erkunden. "So etwas, wie über den Schellenturm, das erfährt man nur, wenn man vor Ort ist", sagt der 58-Jährige. Verurteilte Sträflinge, hatte Oliver Mirkes erzählt, waren dort inhaftiert und mussten öffentlichen Arbeitsdienst leisten. Eingenäht in die Kleidung hatten sie Schellen, damit die Stuttgarter sie kommen hören konnten.
Die Stäffele offenbaren eine überraschende Tierwelt
Am Fuße der Dobelstaffel müht sich eine Weinbergschnecke ab und wirkt noch unentschlossen, ob sie den Aufstieg wagen möchte. Da haben es die Feuerkäfer nebenan deutlich leichter. "Gerade bei den Stäffelen am Rand der Innenstadtbezirke gibt es viel Natur zu entdecken", sagt Stadtführer Oliver Mirkes. Dort, wo der Wald aufhört und die Bebauung beginnt, bekommt er auch Rehe und Füchse zu Gesicht. Große Vögel konnten die Stimme-Leser auch entdecken. Falken und Mäusebussarde sehe er häufig, sagt Mirkes.