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Sanierung des Engelbergtunnels wird ein Kraftakt

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Der Engelbergtunnel bei Leonberg muss fünf Jahre lang saniert werden. Der Verkehr soll vom Bau möglichst wenig beeinträchtigt werden. Ein Besuch im Tunnel unter dem Tunnel und auf dem Berg, wo es deutlich ruhiger ist als früher.

Von Alexander Hettich

Nur 20 Jahre nach seiner Eröffnung ist der Engelbergtunnel der A 81 bei Leonberg ein Sanierungsfall. Die Arbeiten werden fünf Jahre dauern, sie starten im September. Die Vorbereitungen laufen bereits im verwinkelten Gängesystem unter dem Tunnel.

Dass die Schnellstraße überhaupt durch den geologisch schwierigen Berg führt, geht wohl auf den Propagandaeifer des NS-Regimes zurück.

Durch schmale Gänge in den Abluftschacht

"Vorsicht, hier wird es eng", ruft Enrico Hinz gegen den Lärm an. Der für die Sanierung verantwortliche Projektleiter vom Regierungspräsidium Stuttgart ist kaum zu verstehen. Wenige Meter entfernt, nur getrennt von einem Maschendrahtzaun, rauscht der Verkehr Richtung Heilbronn durch den Autobahntunnel. Eine Leiter führt hinab.

Bis 20 Meter unter die Fahrbahn reicht das Gangsystem. Wer hindurchläuft, kann gerade so aufrecht gehen und mit beiden Händen die Kabelkanäle an den Wänden berühren. "Lange Zeit", erklärt der Projektleiter, "war das der einzige Zugang." Jetzt nicht mehr.

Mit Fahrrädern unter der Erde

In den vergangenen Monaten hat sich ein neuer Betonturm zwischen den Tunnelröhren in die Tiefe gefressen, mit Lastenaufzug und geräumigem Treppenhaus. Hier geht es direkt in die Ablufttunnel, die über die gesamten 2,5 Kilometer Länge unter den Fahrbahnen entlang führen. Der Lärm der 120.000 Fahrzeuge, die den Tunnel täglich passieren, ist hier unten nur ein fernes Dröhnen. Mitarbeiter von Baufirmen rollen mit Fahrrädern und E-Mobilen durch die Schächte. Sie dienen der Entlüftung, wenn es im Tunnel brennt.


In dem Fall springen die mächtigen Ventilatoren am Ende der Gänge an. Etwa einmal im Jahr kommt das vor. Dann ist Alarm - im Kontrollzentrum, wo Bilder aus den Tunneln über Monitore flackern. Und im übertragenen Sinne auf den Autobahnen im gesamten Mittleren Neckarraum. "Das wird unsere Baustraße", sagt Hinz und schreitet einen der Abluftschächte ab. Im September geht es richtig los. Es wird Zeit. Der Berg macht Probleme.

Anhydrit-Gestein wurde durch Stuttgart 21 berühmt

Die Sanierung soll 90 Millionen Euro kosten, 40 Millionen Euro kommen für die moderne technische Ausstattung hinzu. Der Engelbergbasistunnel, so der offizielle Name, wurde 1998 und 1999 eröffnet. Schon vor dem Bau war klar, dass der Untergrund schwierig ist. Das Mineral Anhydrit, das im Zusammenhang mit Stuttgart 21 zu Berühmtheit gelangte, quillt bei Kontakt mit Wasser auf und drückt auf das Bauwerk. Das war einkalkuliert.

Die Betonschale misst statt der üblichen 80 Zentimeter an einigen Stellen bis zu drei Meter. Unter der Tunnelsohle gibt es eine Knautschzone aus weichem Material, das den Druck aufnehmen soll. Doch jetzt presst der Anhydrit auch von der Seite, eine Strecke von 175 Metern Länge im nördlichen Bereich erwies sich als besonders gefährdet. Der Tunnel liegt wie ein gekipptes Ei im Boden. "Der Berg versucht, ein stehendes Ei daraus machen", sagt Hinz. Das würde das Bauwerk kaum aushalten, schon jetzt gibt es Risse in der Tunnelwand.

Als Menetekel für Stuttgart 21 taugt der Tunnel trotzdem nicht, betont Hinz. Die Bahningenieure verfolgten ein anderes Konzept, das darauf abzielt, den Anhydrit gar nicht erst mit Wasser in Berührung kommen zu lassen. Dazu werden Chemikalien in den Boden gepresst.

Betonplatten zur Verstärkung

Zurück am Tageslicht, zeigt Hinz den Prototypen stahlarmierter Betonplatten, jede für sich 25 Tonnen schwer. Sie werden in der geologischen Problemzone unter der Fahrbahn und unter der Tunneldecke eingebaut, um das Bauwerk zu stabilisieren.

Diese Woche machen sich die Bauarbeiten erstmals für Autofahrer bemerkbar. Weil die Löschwasserleitungen erneuert werden, sind immer wieder einzelne Fahrspuren gesperrt, allerdings nur in der Zeit von 22 bis 5 Uhr. Diese ersten Arbeiten sollen sechs Monate dauern. Wenn es im September richtig losgeht, spielt sich vieles zunächst unter der Erde ab, bevor ab April 2020 wieder Autofahrer tangiert sind. Auch dann gilt: Sperrungen von Fahrspuren soll es immer nur nachts geben. Ansonsten bleiben die sechs Fahrstreifen erhalten, wenn auch verengt.

„Alles läuft unter Betrieb“, sagt Hinz. Der Verkehr muss fließen. Der Engelbergtunnel an der einzigen Nord-Süd-Autobahntrasse in der Region Stuttgart war schon immer ein neuralgischer Punkt im Straßennetz – auch als er noch ganz woanders den Berg durchschnitt.

Wenige Hundert Meter Luftlinie von den Baustellencontainern, oben auf dem Berg, liegt die beschauliche Tunnelstraße. Ihr Name weist den Weg, der Eingang zur alten Weströhre ist trotzdem nicht einfach zu finden. Viel Grün. Vögel zwitschern. Am Hang ist ein Villengebiet entstanden, früher wollte dort keiner bauen. Hier rollte bis Ende der 90er-Jahre der Autobahnverkehr über eine Rampe mit sechs Prozent Steigung, dann durch die beiden je zweispurigen Röhren. "Das Rauschen des Verkehrs war ständig zu hören", erinnert sich Eberhard Röhm, der ganz in der Nähe wohnt.

In der alten Weströhre ist eine Gedenkstätte

Als der neue Tunnel in Betrieb ging, traf sich für kurze Zeit die Partyszene in den ausgedienten Gewölben. Die Stadt hielt sich die Option offen, durch eine der alten Röhren eine Ausweichstraße zu führen. Wegen statischer Bedenken wurden die Hohlräume schließlich verfüllt - bis auf ein 30 Meter langes Stück, in dem Eberhard Röhm und seine Vereinskollegen von der KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg eine kleine Ausstellung eingerichtet haben. Sie erinnert an die Häftlinge, die im letzten Kriegsjahr hier an einer vermeintlichen Wunderwaffe. Sie fertigten Tragflächen für die Messerschmitt-Düsenflugzeuge ME 262. In Leonberg, einer Außenstelle des Konzentrationslagers Natzweiler, starben nachweislich 389 Häftlinge. Forscher vermuten, dass die Zahl der Opfer viel höher war.

Gebaut wurde der alte Engelbergtunnel bis 1938 als Teil der Reichsautobahn nach Heilbronn. Die Schnellstraße westlich um Leonberg herumzuführen, wäre wesentlich einfacher gewesen. Die Nationalsozialisten wählten den schweren Weg und ließen oben auf dem Berg Parkplätze mit Panoramablick anlegen, "wohl auf direktes Geheiß Hitlers", vermutet Eberhard Röhm. "Die Bevölkerung sollte sehen, in welch schönem Land sie lebt." Nach dem Krieg wurde der Tunnel mit der steilen Zufahrt zur Staufalle, Leonberg war in den Verkehrsnachrichten allgegenwärtig. Die Stadt atmete auf, als der neue Tunnel eröffnet wurde.

Finanzierungsmodell umstritten

Die reinen Baukosten beliefen sich nach jüngsten Zahlen auf 467 statt der geplanten 300 Millionen Euro. Allein für die Finanzierung kamen weitere 183 Millionen Euro hinzu. Ein privates Konsortium streckte das Geld vor, der Bund stotterte den Betrag bis 2014 ab. Der Bundesrechnungshof hatte das Modell schon 1995 als unwirtschaftlich kritisiert.

Heute sind die Leonberger in Höhenlage froh, dass sie mit dem Tunnel keine Scherereien mehr haben - ganz im Gegensatz zu den Ingenieuren, die mit dem Anhydrit kämpfen. Projektleiter Hinz ist überzeugt, dass der verstärkte Tunnel dem Gestein Stand hält. "Man hat jetzt die Erfahrung aus 20 Jahren." Der Berg soll endlich zur Ruhe kommen.

 

 
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