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Einfahrten zerstört, Internet lahmgelegt: Ameisen-Horror in Kehl

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Im südbadischen Kehl bringt eine eingewanderte Ameisenart Bürger zur Verzweiflung. Ihre Ausbreitung dürfte sich schwer verhindern lassen. Hilferufe der Stadt stoßen beim Land bisher nicht auf Reaktionen.

Invasive Ameisen der Art Tapinoma magnum sind auf einer Fläche in der badischen Stadt Kehl zu sehen.
Invasive Ameisen der Art Tapinoma magnum sind auf einer Fläche in der badischen Stadt Kehl zu sehen.  Foto: Annette Lipowsky (Stadt Kehl)

Sie wimmeln zu Abertausenden unter Abdeckleisten, arbeiten sich in Fensterdichtungen ein, in Keller, in Stromverteilerkästen, in Blumenbeete und Blumenkübel, sie bahnen sich ihre deutlich sichtbaren Straßen kreuz und quer durch Wohngebiete, finden ihren Weg durch Kabelschächte, graben Rasenflächen um und besiedeln großflächig den Spielplatz: Im südbadischen Kehl haben sich mindestens zwei Superkolonien einer aus dem westlichen Mittelmeerraum eingewanderten Ameisenart, der Tapinoma magnum, angesiedelt, die Anwohner in die Verzweiflung treiben und die Stadtverwaltung bei der Bekämpfung an ihre Grenzen bringt.

Ameisen-Invasion in Kehl – Gehwege und Einfahrten durchlöchert und uneben

"Es gab Berichte, dass die Ameisen über eine Steckdose und aus dem Wasserhahn ins Haus gekommen sind", sagt Gregor Koschate. Der Agrarökonom ist Umweltbeauftragter der Stadt Kehl. Seit gut einem Jahr ist er praktisch mit nichts anderem beschäftigt als der Bekämpfung der Ameisen-Invasion.

Bei einem Rundgang in Marlen, dem am stärksten betroffenen Stadtteil von Kehl, ist die Präsenz der Ameisenart unübersehbar. Koschate weist auf die zahllosen kleinen Sandhäufen auf Gehwegen und entlang der Straßeneinfassung hin. Es ist Fugenmaterial, das von den Ameisen herausgedrückt wird. Straßenränder, Gehwege und gepflasterte Einfahrten wirken durchlöchert und uneben.

Das Besondere an dieser Art: Statt eines Baus mit einer Königin gehören zu einer Kolonie zahllose Nester mit Hunderten von Königinnen. Die Bauten sind unterirdisch angelegt, bis zu einem Meter tief, oben sichtbar nur durch ein Sandhäufchen mit wenigen Zentimetern Höhe. Werden die Tiere in einem Nest gestört, packen sie ihre Brut und ziehen weiter.

Ameisen in Kehl legen Internet lahm – Anwohner greifen zur Selbsthilfe

Tapinoma magnum heißt die invasive Ameisenart, die in Kehl in Baden-Württemberg ihr Unwesen treibt.
Tapinoma magnum heißt die invasive Ameisenart, die in Kehl in Baden-Württemberg ihr Unwesen treibt.  Foto: Bäuerlein

Seit Herbst bekämpft die Stadt die Kolonien, die sich bislang unbeeindruckt gegen Pestizide erweisen, mit dem einzigen bislang Erfolg versprechenden Mittel: Heißschaum, der mit hohem Druck auf die befallenen Flächen aufgesprüht wird und die Tiere ersticken soll. Einziger Anbieter: eine Darmstädter Firma, die für teures Geld beauftragt werden muss. Über 50.000 Euro hat Kehl seit Herbst schon in die Bekämpfung gesteckt. Erfolg verspricht das Verfahren, wenn in kurzem Abstand mehrere Bedampfungszyklen aufeinander folgen, am besten wäre ein Abstand von drei bis sieben Tagen - doch das ist für die Stadt nicht leistbar.

Die Anwohner haben sich zusammengetan, versuchen, Druck auf die Stadt auszuüben. "Das geht schon fast seit zwei Jahren so, ohne, dass sich etwas bessert", sagt eine Anwohnerin aus der Edelweißstraße. Die Nachbarn würden immer mal wieder zur Selbsthilfe greifen und handelsübliches Ameisengift einsetzen, "dann ist für zwei oder drei Wochen Ruhe", sagt sie. "Aber dann sind sie wieder da." So wie in dem Verteilerkasten, der kürzlich durch die Schlagzeilen ging: Ein Ameisennest darin hatte kurzzeitig in einigen Häusern die Internetverbindung lahmgelegt.

Noch keine Hilfe vom Land Baden-Württemberg

Wolfram Britz hat schon viele Briefe mit der Bitte um Hilfe und Unterstützung geschrieben. An das Landratsamt, an das Regierungspräsidium in Freiburg, an den Bund und Ende Mai an das baden-württembergische Umweltministerium. Vom Regierungspräsidium in Freiburg hat er zumindest die Rückmeldung erhalten, dass es noch ein wenig dauert, aber vom Stuttgarter Ministerium hat er bislang keine Antwort erhalten, sagt der Oberbürgermeister von Kehl. "Ich wünsche mir vom Land die klare Ansage, dass man hier Gewehr bei

Fuß steht", sagt Britz. "Und dass man nicht zuerst über Geld redet und wer was bezahlt, sondern darüber, was gemacht werden muss."

Eine übergeordnete Koordination in Sachen Ameise würde auch Manfred Verhaagh für sinnvoll halten. Der Wissenschaftler ist Hauptkonservator und Chef-Entomologe am staatlichen Naturkundemuseum in Karlsruhe und beschäftigt sich viel mit invasiven Arten - nicht zuletzt mit der Tapinoma magnum. "Sie ist im westlichen Mittelmeerraum beheimatet, von dort sind aber keine Probleme wie bei uns bekannt."

Ameisen bilden Superkolonien – Besiedlung mehrerer Hektar

In Deutschland komme die Art seit einigen Jahren vor, "man weiß aber noch nicht allzu viel über sie", sagt der Wissenschaftler. Die Ameisenart bilde Superkolonien mit vielen Nestern, deren Tiere Verbindung untereinander halten. Eine einzige Kolonie kann so mehrere Hektar besiedeln.

"Die Kolonie ist durch die ständige Neuaufnahme von Jungköniginnen quasi unsterblich", sagt Verhaagh, der durchaus beeindruckt ist. "Eigentlich ist das ein tolles Tier, eine hoch dominante Art, die eine sehr effektive Überlebensstrategie entwickelt hat. Sie ist frosthart, durch die vielen Bodennester gut geschützt, verfügt über ein hochpotentes Gift, das sie aus eine Drüse versprüht, und nutzt zahlreiche Nahrungsquellen". Die Ausbreitung - etwa über Erde in Pflanzenkübeln - dürfte nur eine Frage der Zeit sein.

 
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