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Interview
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Experte über Wandel in der Wirtschaft: „Darauf waren wir in Deutschland nicht vorbereitet“

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Heiner Lasi ist Leiter des Ferdinand-Steinbeis-Instituts (FSTI) am Bildungscampus. Im Gespräch erklärt er, woran das FSTI genau forscht und was sich in der Wissenschaft grundlegend verändern muss. 

KI verändert unsere Gesellschaft und Wirtschaft tiefgreifend.
KI verändert unsere Gesellschaft und Wirtschaft tiefgreifend.  Foto: Who is Danny

Seit zehn Jahren gibt es das Ferdinand-Steinbeis-Institut (FSTI), ursprünglich entstanden ist es am Standort Stuttgart. Seit 2019 ist das FSTI auch in Heilbronn am Bildungscampus, mittlerweile liegt der Schwerpunkt des Instituts nicht mehr in der Landeshauptstadt, sondern hier. Was das FSTI anders machen will als andere wissenschaftliche Einrichtungen, wie das gelingen soll und was sich grundlegend ändern muss, erklärt Institutsleiter Heiner Lasi im Gespräch mit unserer Redaktion.

Herr Lasi, das FSTI will Wissenschaft zugänglicher und praxisnäher mit der Wirtschaft und der Gesellschaft leben. Was bedeutet das?

Heiner Lasi: In den vergangenen Jahrzehnten hat sich ein Wissenschaftsverständnis entwickelt, indem verschiedene Forschungsprozesse getrennt und nacheinander ablaufen.  Das ist langwierig, häufig weit weg von den Problemen des echten Lebens  und wir können   uns das heute in den meisten Bereichen nicht mehr leisten. Wissenschaft hat die Aufgabe, Wirtschaft und Gesellschaft zu dienen. Deshalb haben wir dieses Forschungsverständnis grundsätzlich infrage gestellt und überlegt, wie man es anders gestalten kann. In unserem Institut arbeiten Personen aus unterschiedlichen Disziplinen gleichzeitig an einer Forschungsfrage. So kommen wir wesentlich schneller zu Ergebnissen, die dann auch eine Relevanz für die Praxis haben. Und das können Sie nur sicherstellen, indem Sie im ständigen Austausch mit der Praxis sind.

Wie gelingt dieser Austausch?

Lasi: So etwas funktioniert vor allem auf persönlicher Ebene. Wir besuchen viele Betriebe und haben den Anspruch, dass jeder Mitarbeiter von uns in konkretem Austausch mit Unternehmen steht. Für uns sehr interessant sind kleine und mittelständische Unternehmen sowie das Handwerk. Inhaltlich geht es von Landwirtschaft über die Elektroindustrie bis hin zu Medizintechnik.

Seit 2015 ist Heiner Lasi Leiter des Ferdinand-Steinbeis-Instituts.
Seit 2015 ist Heiner Lasi Leiter des Ferdinand-Steinbeis-Instituts.  Foto: Matthias Stark

Glauben Sie, dass sich der Wissenschaftsstandort Deutschland grundsätzlich verändern muss? 

Lasi: Davon bin ich überzeugt. Mit der Zeit haben sich in der Wissenschaft Gepflogenheiten eingeschlichen, die wir kritisch hinterfragen – ohne Wissenschaft an sich zu beschmutzen. Ein Beispiel: Eine Karriere in der Wissenschaft hängt derzeit vor allem ab von der Publikationsleistung – also von der Frage, wie viele meiner Veröffentlichungen andere Wissenschaftler lesen. Ob die Praxis davon profitiert, spielt keine Rolle. Dieses selbstreferenzierte System müssen wir aufbrechen.

Vor kurzem haben Sie 10 Jahre FSTI gefeiert - was hat sich hier seither entwickelt? 

Lasi: Gestartet sind wir mit der Idee, Wissenschaft in den Dienst der Gesellschaft zu stellen – und wir haben damit einen Nerv getroffen. Einen Schub gab es dann mit dem Start in Heilbronn vor sechs Jahren. Ich erinnere mich noch an die ersten Meetings, in denen wir erklärt haben, woher wir kommen. Da hat Heilbronn niemand gekannt. Dieses Blatt hat sich vollständig gedreht. Auch im internationalen Kontext wird Heilbronn beobachtet und ernst genommen. Man erkennt an, dass hier etwas Großes entsteht. Deshalb ist es für Unternehmen und internationale Forschungseinrichtungen attraktiv, mit uns zu kooperieren. Das ermöglicht uns eine tolle Entwicklung. Wir sind heute auf dem Stand, dass wir Projekte in der Medizintechnik oder auch im Bereich innere und äußere Sicherheit begleiten können, die also mit hohen Sicherheitsanforderungen einhergehen. Dazu wären wir vor drei, vier Jahren noch nicht in der Lage gewesen.

Vor zehn Jahren war die wirtschaftliche Situation noch eine andere, heute stecken wir in der Krise. Wäre das vermeidbar gewesen?

Lasi: Wir können den Wandel nicht aussitzen. So wie es eine Transformation von der Agrarwirtschaft hin zur Industrie gab, so gibt es im Moment eine Transformation von der industriellen Wirtschaft hin zu einer Wirtschaft, in der Wertschöpfung ganz stark im virtuellen Raum erfolgt. Darauf haben wir uns in Deutschland nicht vorbereitet.

Und was machen wir jetzt?

Lasi: Wieder mutig mit Tempo und ohne große Bedenken vorangehen. Jammern verändert nichts. Es ist auch eine Chance, jetzt freie Mitarbeiterkapazitäten zu haben, mit denen man sich diesen Themen widmen kann. Das beginnt in der Unternehmensleitung. Ich muss verstehen, dass mein Unternehmen allein womöglich hochspezifische Fähigkeiten hat, aber trotzdem an Wettbewerbsfähigkeit einbüßt. In einer Kooperation mit anderen Unternehmen, unterstützt durch neue Systeme und häufig auch durch KI, kann ich mit einem erweiterten Fähigkeitenbündel an den Markt gehen. So werden wir wieder wettbewerbsfähig.

Welche Rolle will das FSTI dabei spielen? 

Lasi: Wir wollen unseren Wohlstand behalten. Als Institut wollen wir ein Impulsgeber sein, der zusammen mit Partnern aus Wirtschaft und Gesellschaft Lösungsansätze entwickelt und umsetzt, sodass wir international wieder wettbewerbsfähig sind. Das ist letztlich eine Grundvoraussetzung dafür, auch eine stabile Gesellschaft zu erhalten - und eine funktionierende Demokratie. Dafür lohnt sich jede Anstrengung.

Professor Heiner Lasi leitet seit 2015 das Ferdinand-Steinbeis-Institut. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich zukunftsfähige Wertschöpfung, außerdem ist er als Experte Teil der Enquete Kommission KI des Deutschen Bundestages sowie der Arbeitsgruppe Digitale Agenda des Bundeskanzleramtes.

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