Ludwig Theodor Heuss ist Enkel des ersten Bundespräsidenten der BRD. Er ist Vorsitzender der Theodor-Heuss-Stiftung sowie Vorsitzender des Kuratoriums der Friedrich-Naumann-Stiftung. Heuss lebt in der Schweiz und ist dort Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Mitglied der Spitalleitung am Spital Zollikerberg bei Zürich.
Enkel von Theodor Heuss in Heilbronn: „Es gibt keinen Grundkonsens mehr“
Der Enkel des ehemaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss findet am Montagabend in Heilbronn deutliche Worte für den Zustand der Demokratie und der Gesellschaft.

„Demokratie ist eine Haltung, keine Institution. Ihre Werte müssen verinnerlicht werden, damit sie Bestand haben.“ Heute scheint ihr Bestand nicht mehr so sicher wie noch vor 20 Jahren. Die politischen Ränder gewinnen an Einfluss und autoritäre Strukturen nehmen global, aber auch in Europa zu. Den Wert von Freiheit und Demokratie machten wohl wenige so deutlich wie der ehemalige Bundespräsident und Heilbronner Theodor Heuss.
Am Montagabend sprach sein Enkel Professor Ludwig Theodor Heuss im Parkhotel in Heilbronn zum Thema „Demokratie und Freiheit als lebensgestaltende Werte“. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Friedrich-Naumann-Stiftung, der Reinhold-Maier-Stiftung sowie dem Theodor-Heuss-Freundeskreis.
Heuss über Demokratie: Demokratische Prinzipien müssen im Privaten ankommen
„Das Vertrauen in Institutionen und Medien bröckelt, besonders in Ostdeutschland“, sagt Heuss. Man müsse sich fragen, wie es möglich sei, dass dieses demokratische Freiheitsmodell derart an Zuspruch verlieren könne. Seiner Einschätzung nach ist eines der zentralen Probleme, dass die Demokratie zu selbstverständlich geworden sei.
Um den Bogen ins Heute zu schlagen, führte Heuss aus, wie die Deutschen in den Nachkriegsjahren, die Demokratie erst einmal mühsam erlernen mussten. Das Grundgesetz war der „Grundrahmen“, aber damit Demokratie als Lebensform funktionieren konnte, musste darüber diskutiert und gestritten werden, demokratische Prinzipien mussten im Privaten ankommen und zeichneten sich ganz deutlich „durch die Art und Weise aus, wie Menschen miteinander umgehen und sich gegenseitig ernst nehmen“.
Heute sei man nun an einem Punkt, den man jahrzehntelang nicht für möglich gehalten habe: Die Politikverdrossenheit hat sich zu einer Demokratieverdrossenheit entwickelt, was ein „erschreckendes Phänomen“ sei. Heuss, der in der Schweiz lebt, zieht einen kurzen Vergleich mit dem Nachbarland. Denn dort gebe es zwar harten politischen Streit, auch über die richtige Form der Demokratie – doch sie selbst werde von keiner Partei angegriffen oder grundsätzlich infrage gestellt. „Durch die Gesellschaft geht ein Bruch. Das Pendel schwingt nicht mehr eher nach links oder nach rechts, es ist vielmehr heruntergefallen. Es gibt keinen Grundkonsens mehr“, sagt Heuss.
Heuss sieht gesellschaftliche Entwicklung als „Bankrott der politischen Bildungsarbeit“
„Das ist ein Bankrott der politischen Bildungsarbeit“, kritisiert er scharf. In Deutschland gibt es unter anderem durch die Landeszentralen sowie die Bundeszentrale für politische Bildung ein einzigartiges Netz für politische Bildungsarbeit. Doch sie zeige keine Wirkung, meint Heuss, es fehle an Geschichtsbewusstsein und Verständnis für historische Zusammenhänge und „schlicht fehlendem Faktenwissen“.
Der Wunsch nach autoritärer Führung liegt laut Heuss unter anderem an einer „Entgrenzung“ der Gesellschaft in vielen Bereichen. „AirBnB ist das größte Hotel ohne nur ein einziges Zimmer, Uber das größte Taxiunternehmen ohne nur ein einziges Auto.“ Diese grenzenlosen Verfügbarkeiten nahezu überall seien effizient, aber nicht verbindlich und führten letztendlich zu dem Verlust von Gemeinsinn und Solidarität – was zur Orientierungslosigkeit in der Gesellschaft führe.
Man lebe nicht mehr in einer Informationsgesellschaft, sondern in einer „Desinformationsökonomie“, Facebook, X, Instagram und Tiktok bezeichnet er als „die vier apokalyptischen Reiter des Internets“, die davon profitierten. Was ist also zu tun? „Wir müssen den Ernst der Freiheit wiederentdecken. Die Fähigkeit zur Selbstbegrenzung und wir müssen lernen, dass Freiheit nicht grenzenlos ist. Die Aufgabe des Liberalismus liegt im 21. Jahrhundert nicht in Deregulierung, sondern in Verantwortung.“

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