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Die Sage vom hundeschlachtenden Metzger am Lohtor

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Fürchterliches Gebrüll und Kettenrasseln am Hafenmarkt - mit glühend roten Augen soll ein Ungeheuer in manchen Nächten durch die Straßen Heilbronns spuken. Ein stimme.de-Leser stieß im Netz auf die Sage vom „Muhkalb“ und fragte, was dahinter steckt.

von Sarah Utz
In manchen Nächten soll ein brüllendes Ungeheuer in Rinder-Gestalt durch die Straßen von Heilbronn ziehen. Foto: Pixabay/HSt
In manchen Nächten soll ein brüllendes Ungeheuer in Rinder-Gestalt durch die Straßen von Heilbronn ziehen. Foto: Pixabay/HSt  Foto: Sarah Utz

Meist als Vorbote eines städtischen Unglücks, so heißt es in einer Version der Sage vom Heilbronner Muhkalb, soll der Geist eines Metzgers in Form eines Rinder-Ungeheuers nachts durch die Innenstadt ziehen. Doch was hat es mit der Legende auf sich? Sagengestalten haben nicht selten ein reales Vorbild. So führt uns die Suche nach dem Ursprung dieser Geschichte ins Jahr 1635 – mitten in die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs.

Pest und Hungersnot

Vor dem Ausbruch des Krieges war Heilbronn noch eine einigermaßen wohlhabende Stadt. Doch während der langen Kriegsjahre von 1618 bis 1648 verschlechterten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse drastisch. Am Ende des Kriegs war die Stadt ausgeblutet, die Bürgerschaft in erschreckende Armut gefallen, heißt es in einer Veröffentlichung des Stadtarchivs zur Geschichte Heilbronns.

Heilbronn im Jahr 1643 als Kupferstich von Matthaeus Merian.
Heilbronn im Jahr 1643 als Kupferstich von Matthaeus Merian.

Die kaiserlichen Truppen, die von den Schweden aus der strategisch wichtigen Stadt Heilbronn vertrieben worden waren, griffen 1634 an und legten Teile der Stadt in Schutt und Asche. Sie marodierten nicht nur in Heilbronn, sondern in ganz Süddeutschland, wo sie alles „muthwillig verderbten, was sie nicht für sich selbst brauchten“, schreibt der Stuttgarter Regionalhistoriker Karl Pfaff. Die Bevölkerung hungerte. Der Hunger begünstigte auch die verheerende Ausbreitung eines zusätzlichen Übels: In den Jahren 1635/36 grassierte die Pest und raffte tausende Menschen dahin. Allein im ersten Jahr starben 1609 der 6000 Heilbronner an der Pest.

Der Heilbronner Lohturm 1554 auf einem Ausschnitt aus der ältesten Stadtansicht. Foto: Stadtarchiv Heilbronn
Der Heilbronner Lohturm 1554 auf einem Ausschnitt aus der ältesten Stadtansicht. Foto: Stadtarchiv Heilbronn

In diesen entsetzlichen Verhältnissen soll ein Metzger beim Lohtor gelebt haben, das sich am Neckarende der heutigen Heilbronner Lohtorstraße (zwischen Hafenmarkt und Brücke an der Experimenta) befand. Zwei Quellen, eine kürzere, sachlichere Version aus dem Stadtarchiv in der „Beschreibung des Oberamts Heilbronn“ von 1865 und eine etwas blutigere, detaillierte Variante in den „Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden“ von Bernhard Baader aus dem Jahr 1851 erzählen, wie der Metzger zum Muhkalb-Ungeheuer wurde.

Die Legende vom Metzger, der Hundefleisch verkaufte

Weil Kalbfleisch 1635 rar und teuer war, soll der Metzger Hunde geschlachtet haben – mehrere, oder zumindest seinen eigenen. Das Fleisch landete als Kalb im Verkauf. Ein schwerwiegendes Vergehen zu dieser Zeit: Das Unterschieben von Hundefleisch wurde geahndet und kostete den Fleischer häufig das Leben. Hunde zu essen mag uns heute scheußlich erscheinen, doch in Teilen Asiens gelten sie als Delikatesse - und auch in Europa war das lange so. Zwar droht in Deutschland inzwischen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren, das Verbot gibt es aber erst seit 1986. Noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts standen Gerichte wie "Hundekeule mit jungen Ratten garniert an Pfeffersauce" nicht selten auf der Speisekarte. Wilhelm Busch beschrieb sogar die Schlachtung und Zubereitung eines fett gefütterten Hundes in "Die Strafe der Faulheit" von 1866:
 


Der Metzger vom Lohtor jedenfalls hatte mit dem Verkauf des Hundefleischs einen Betrug begangen und wurde entdeckt. Eine Frau schöpfte Verdacht und zeigte ihn an. Zwar beteuerte der Metzger seine Unschuld, doch das half ihm wenig und er wurde, laut Baaders Erzählung, ins Gefängnis in der Klostergasse geworfen. Dort schwor er, sollte das angefochtene Stück Vieh kein solches sein, dann werde er selbst zum Kalb. Je nach Erzählung starb er nach seinen Schwüren an der Pest oder erhängte sich hinter Gittern. Seither soll er in Gestalt eines fürchterlich brüllenden Kalbs nachts durch Heilbronn spuken - laut Baaders Sagenbuch „aus der Klostergasse über den Hafenmarkt bis zum Thore am Ende der Lohthorstraße.“
 

Diese Karte zeigt Heilbronn um das Jahr 1848. In hellblau sind Lohtor und Hafenmarkt markiert, in dunkelblau ist die Klostergasse markiert. Foto: Stadtarchiv Heilbronn
Diese Karte zeigt Heilbronn um das Jahr 1848. In hellblau sind Lohtor und Hafenmarkt markiert, in dunkelblau ist die Klostergasse markiert. Foto: Stadtarchiv Heilbronn  Foto: Stadtarchiv

Die Straßen gibt es noch immer, wenngleich der Lohturm im Jahr 1844 abgerissen wurde und auch das Tor nicht mehr da ist. Ob der Metzger aus der Sage existierte, kann nicht geklärt werden. Sagen können einen wahren Kern haben, sind aber in der Regel im Laufe der Zeit so stark verändert worden, dass es nicht mehr möglich ist, sie nachzuvollziehen. Zum Metzger selbst finden sich beim Stadtarchiv keine passenden Quellen, doch die Geschichte passt zu den Lebensumständen im Jahr 1635. So war zwar Hundefleisch in dem Zeitraum verboten – aber während der Hungersnot in diesem Jahr nährte man sich von allem, was nur einigermaßen genießbar war, beschreibt Regionalhistoriker Pfaff. Dass der eine oder andere Metzger da zu Recht oder zu Unrecht verdächtigt wurde, etwas anderes als Kalbsfleisch zu verkaufen, ist nicht unwahrscheinlich.

Orte aus der Sage

Einen weiteren, angeblich sichtbaren Hinweis auf die Existenz des Metzgers beschreibt das Sagenbuch: Am Haus des Metzgers am Lohtor sollen sich nicht entfernbare Blutflecken von dem geschlachteten Hund befunden haben. Doch die Suche nach den Flecken lohnt nicht. Sollte es sie gegeben haben, verschwanden sie spätestens mit der Zerstörung der Innenstadt während des Zweiten Weltkriegs. Ein Gefängnis hat es in der Klostergasse nach Informationen des Stadtarchivs erst im 19. Jahrhundert gegeben – genau die Zeit, in der die Sage niedergeschrieben wurde.
 

Das Muhkalb

Das Muhkalb ist eine Sagengestalt, die in Erzählungen aus verschiedenen Regionen Deutschlands vorkommt, besonders in Rheinhessen, dem Rheingau und weiteren Teilen Südwestdeutschlands. Die Figur wurde immer wieder in der Literatur und in Kunstwerken aufgegriffen. Ihr wurde sogar schon eine Oper gewidmet. Sie wird als großes Kalb mit dem Kopf einer ausgewachsenen Kuh mit glühenden Augen beschrieben. Sie taucht nur nachts auf und verbreitet Angst und Schrecken. Beim Heilbronner Muhkalb scheint es sich um eine der wenigen detailliert beschriebenen Sagengeschichten zu handeln.


Die Anregung für diesen Artikel haben wir von einem Leser über unser Format "Noch Fragen?" erhalten. Wenn Sie ein spannendes Thema aus der Region bewegt, melden Sie sich über unser Formular bei uns.

Quellen

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