„Bringt die Medizin extrem weiter“: So läuft eine Körperspende ab
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An der Universitätsklinik Tübingen werden jährlich bis zu 100 Körperspenden angenommen. Dr. Bernhard Hirt, Professor für Anatomie, erklärt, wie das System funktioniert.
Am Klinikum Tübingen ist man dankbar für alle, die ihren Körper der Wissenschaft zur Verfügung stellen, sagt Bernhard Hirt, Professor für Anatomie an der Universität Tübingen.
Foto: Universität Tübingen
Den eigenen Körper nach dem Tod der Wissenschaft zur Verfügung stellen – für viele Menschen ist das ein ungewöhnlicher, schwer vorstellbarer Gedanke. Doch ohne diese Form der Spende wäre die medizinische Ausbildung kaum möglich. „Die Körperspende bringt die Medizin und das Lernen extrem weiter“, sagt Dr. Bernhard Hirt, Professor für Anatomie und klinischer Direktor an der Universität Tübingen. „Die Anatomie lässt sich durch keine andere Maßnahme so abbilden.“
Pro Jahr nimmt das Institut für Klinische Anatomie und Zellanalytik bis zu 100 Körperspenden Verstorbener entgegen. Das Einzugsgebiet der Menschen, die sich hierfür melden, reiche laut Hirt von Heilbronn bis zum Bodenseekreis sowie vom Schwarzwaldkreis bis nach Ulm. „Wir haben eine Liste von knapp 5.000 Körperspenderinnen und Körperspendern - die hoffentlich noch sehr lange leben, sich aber entschieden haben, nach ihrem Tod etwas Sinnvolles mit ihrem Körper zu machen“, sagt er. Bereits seit 1965 gibt es an der Uni Tübingen ein Körperspendensystem und hat hier eine lange Tradition.
Körperspender können zwischen drei Möglichkeiten wählen
„Studierende sowie angehende Chirurgen müssen einige Arbeitsschritte erst lernen, bevor sie sie am lebenden Menschen vornehmen“, erklärt Hirt. „Und die Möglichkeit bieten wir ihnen in unserer Einrichtung.“ Die Tätigkeit erfolge mit größter Dankbarkeit und Respekt. Die Körperspender hätten im Voraus die Möglichkeit auszuwählen, was genau gemacht wird. „Sie haben drei Auswahlmöglichkeiten: studentische Ausbildung, chirurgische Fort- und Weiterbildung oder Forschung und Entwicklung.“ Alle drei Elemente seien sehr wichtig für die Weiterentwicklung der Medizin.
„Der menschliche Körper ist so komplex aufgebaut und so variantenreich, dass jedes Individuum komplett unterschiedlich ist“, sagt Hirt. „Es geht darum, herauszufinden, welche Variante einer Struktur vorliegt, wie sie mit anderen Strukturen in Beziehung steht und welche klinische Bedeutung sie hat.“ Das alles könne man allein digital nicht abbilden. Durch die Arbeit am echten Menschen sei das Erleben des Körpers, das Auseinandersetzen mit Leben und Tod eine völlig andere.
Körper bleibt für zwei Jahre an der Uni Tübingen
Ein Körper, der ans Institut gebracht wurde, verbleibt dort zwei Jahre. „150 Präparate können bei uns gleichzeitig lagern. In Präparations- oder OP-Kursen wird dann am Körper gearbeitet“, sagt Hirt. Nach Ablauf der zwei Jahre wird der Körper in ein Krematorium gebracht und es findet eine Urnenbeisetzung auf dem Tübinger Bergfriedhof statt. „Seit den 80er-Jahren wird die Aussegnungsfeier in der großen Stiftskirche in Tübingen veranstaltet“, sagt Hirt. Das sei „sehr, sehr würdevoll“. Wahlweise sei es auch möglich, die Urne zum Heimatfriedhof des Verstorbenen bringen zu lassen.
Zwar kann sich jeder für eine Körperspende melden, es gibt aber Ausschlusskriterien. „Abgelehnt werden aufgrund von Nicht-Eignung etwa zehn Prozent, angenommen etwa 90 Prozent“ sagt Hirt. Ausschlusskriterien seien zum Beispiel eine übermäßige Dickleibigkeit oder Infektionserkrankungen. Ein weiteres Ausschlusskriterium sei, wenn der Zeitraum zwischen Tod und Überführung zu lange dauere. „Wenn zum Beispiel nach einem ungeklärten Todesfall staatsanwaltschaftlich Untersuchungen durchgeführt werden oder es zu einem Unfalltod kam, bei dem der Körper eben nicht mehr unversehrt ist.“ Dann müsse man das Angebot ablehnen.
„Eine sinnvolle Art, mit dem Körper noch etwas anzufangen und der Medizin zu helfen“
Die Meinungen zur Körperspende seien laut Hirt insgesamt positiv - zumindest was er mitbekomme. „Ich hab bisher noch nicht einmal eine negative Stimme gehört.“ Die Menschen würden sich ja aus freien Stücken dazu entscheiden. Es sei „eine sehr sinnvolle Art, mit dem Körper noch etwas anzufangen und der Medizin zu helfen“. Für alle, die sich für den Schritt entscheiden, sei es jedoch immer wichtig, mit ihren Angehörigen zu sprechen. „Die Angehörigen haben einfach eine ganz andere Trauerarbeit als normal. Das muss gut besprochen werden.“
Der Personenkreis derer, die sich für eine Körperspende melden, sei laut Hirt sehr breit gefächert: „Die Menschen kommen aus allen Gesellschaftsschichten. Es sind bei Weitem nicht nur Akademiker oder Ärzte, sondern wirklich sehr unterschiedliche Leute.“ Die meisten seien allerdings bereits 70 Jahre oder älter. „Man beschäftigt sich eben häufig erst im Alter mit dem Tod und wie es weitergeht. Junge Menschen tun das eher nicht.“ Ungefähr 200 bis 300 Menschen pro Jahr würden sich an der Uni Tübingen melden und Informationen zum Thema Körperspende einholen.
Kontakt
Wer sich für eine Körperspende an der Universität Tübingen interessiert, findet unter www.klinische-anatomie/koerperspende weitere Informationen. Zudem ist es möglich, unter der Telefonnummer 07071 2972184 Kontakt zum Körperspende-Sekretariat des Instituts für Klinische Anatomie und Zellanalytik aufzunehmen.
Studenten werden früh für das Thema sensibilisiert
Am Institut werden die Studenten früh für das Thema sensibilisiert: „Wir fangen bereits im ersten Semester an, über den Tod zu sprechen“, sagt Hirt. „Wir erklären den Studenten das Körperspendewesen, die Sinnhaftigkeit sowie die 550-jährige Geschichte des anatomischen Leichenwesens in Tübingen - solange gibt es die Uni und solange gibt es auch die Anatomie in Tübingen. Und in diesem langen Zeitraum hat sich natürlich viel getan.“
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