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Abendvorlesung „Medizin hautnah“
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Bedeutung von Gendermedizin: Warum Herz nicht gleich Herz ist

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Die Kardiologin Christiane Tiefenbacher erklärt in der Kreissparkasse Heilbronn, warum es wichtig ist, Männer und Frauen differenziert zu betrachten.

Christiane Tiefenbacher erklärt schematisch den Aufbau des Herzens.
Christiane Tiefenbacher erklärt schematisch den Aufbau des Herzens.  Foto: Kunz, Christiana

Frauenherzen schlagen anders als Männerherzen – und das kann unter Umständen ein Problem sein, beispielsweise bei der rechtzeitigen Erkennung von Herzinfarkten. Warum es wichtig ist, die Unterschiede zu kennen und in der Forschung sichtbar zu machen, erklärte Professorin Christiane Tiefenbacher bei der 61. Abendvorlesung der Reihe „Medizin hautnah“, die von der Heilbronner Stimme, der Sparkasse und den SLK-Kliniken organisiert wird. „Viele denken, das ist ein Modethema. Aber tatsächlich geht es um Lebenserwartung und Lebensqualität“, erklärt die Referentin dem Publikum, warum gendersensible Medizin notwendig ist.

Medizin hautnah: Männer leben kürzer als Frauen - Gründe sind Verhalten, Gene und Hormone

Denn Frauen leben zwar durchschnittlich etwa fünf Jahre länger als Männer, sie sterben aber häufiger an Herzinfarkten. „Baden-Württemberg hat die höchste Lebenserwartung im Land, mit 79,9 Jahren bei Männern und 84,1 Jahren bei Frauen. „Das ist für Sie eine gute Nachricht – ob das jetzt am Trollinger oder an den Spätzle liegt, weiß ich nicht“, scherzte die Kardiologin, die durchaus humorvoll durch das Thema führte. Tatsächlich liegt die niedrigere Lebenserwartung der Männer an sozioökonomischen Faktoren, also ihrem Verhalten, aber auch an biologischen Faktoren.

Dazu zählt, dass Männer genetisch ein Y- und ein X-Chromosom besitzen, Frauen besitzen dagegen zwei X-Chromosome. Das Y-Chromosom ist für Funktionen des männlichen Geschlechts verantwortlich, das X-Chromosom hat mehr Funktionen. Nimmt das X-Chromosom bei Männern Schaden, kann es nicht, wie bei Frauen, durch ein zweites kompensiert werden. Eine Hypothese für die kürzere Lebenserwartung ist deshalb das ungeschützte X-Chromosom.

Die zweite Hypothese, an der laut Tiefenbacher intensiv geforscht werde, ist die „Loss-of-Y“ Theorie. Diese besagt, dass es bei Männern im Alter zum Verlust des Y-Chromosoms kommt, insbesondere in einem Teil der weißen Blutzellen. Dadurch werden vermehrt Botenstoffe freigesetzt, die Entzündungen und Narbenbildung im Herzgewebe fördern, was wiederum das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebserkrankungen erhöht. Auch Hormone spielen eine Rolle, Östrogen hat eine gefäßschützende Funktion.

Frauen sterben häufiger an Herzinfarkten als Männer

Das weibliche Herz ist kleiner und leichter als das von Männern, was von Frauen mit einem etwas höheren Puls kompensiert wird. Christiane Tiefenbacher erklärt dem Publikum, dass fünf der häufigsten Todesursachen bei beiden Geschlechtern Herzkrankheiten sind. Dazu zählen die sogenannte koronare Herzkrankheit (langsame Arterienverkalkung), der Herzinfarkt, die Herzinsuffizienz (Herzschwäche) sowie Vorhofflimmern und Vorhofflattern. Sie sagt: „Eigentlich müssten wir davor viel mehr Angst haben als beispielsweise vor Krebs.“

Bei Herzinfarkten liegt die 30-Tage-Mortalität bei Frauen um 17 Prozent höher als bei Männern. Häufig kommen sie später ins Krankenhaus und werden später behandelt, erklärt die Expertin. Christiane Tiefenbacher zeigt Ergebnisse einer Untersuchung, die deutlich machen, dass die Sterblichkeit bei einem männlichen Arzt und einer weiblichen Patientin höher ist als bei der Kombination männlicher Arzt und männlicher Patient. Am niedrigsten ist sie bei einer Ärztin und einer weiblichen Patientin.

Symptome von Herzinfarkte: Große Unterschiede zwischen den Geschlechtern

Die Symptome bei einem Herzinfarkt unterscheiden sich deutlich zwischen den Geschlechtern: Während bei Männern die allgemein bekannten Symptome wie Brustschmerzen, Atemnot und kalter Schweiß auftreten, sind bei Frauen unspezifische Symptome wie Rücken- Nacken- und Kieferschmerzen sowie Übelkeit häufiger. „Besonders junge männliche Ärzte müssen dafür noch stärker sensibilisiert werden“, sagt Tiefenbacher. Es komme immer noch vor, dass Patientinnen mit den oben genannten Beschwerden nicht ernst genommen werden. Das könne fatal sein, denn beim Herzinfarkt spielt der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle.

Neben dem Herzinfarkt geht die Kardiologin auch auf die Herzinsuffizienz ein. Hier unterscheidet man zwei Formen: die Herzschwäche mit erhaltener Pumpfunktion, woran Frauen häufiger leiden. An der Herzschwäche mit reduzierter Pumpfunktion leiden anteilig mehr Männer. Auch in der medikamentösen Behandlung seien Frauen noch benachteiligt, denn sie sind laut Tiefenbacher in Studien unterrepräsentiert, weshalb Medikamente teils schlechter auf sie eingestellt sind, was zu häufigeren Nebenwirkungen führe. 

Professor Christiane Tiefenbacher (Jahrgang 1963) stammt ursprünglich aus Heilbronn-Sontheim. „Dem schönsten Stadtteil“, stellt Moderator Thomas Zimmermann die Expertin vor und sorgt für amüsierte Reaktionen im Publikum. Sie ist Chefärztin der Abteilung Kardiologie, Angiologie, Pneumologie und Intensivmedizin am Marienhospital Wesel. Seit 2022 ist Tiefenbacher Vorstandsmitglied der deutschen Herzstiftung.

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