Mit Reimen die Kindheit verarbeiten
Tausende schauen Videos von Rapper Sanil auf Videoplattform Youtube

Tausende Schauen - Im Jagstfelder Kindersolbad ist Salji Zivoli alias Rapper Sanil bereits ein Star, mehrere tausend Internetbenutzer haben auf der Videoplattform Youtube seine Lieder angeklickt. Mit Stücken wie "Ich brauch euch nicht" oder "Mama, du warst nie da" hat er sich einen Namen gemacht, doch darum geht es dem 16-Jährigen nicht. "Was ich in meinen Liedern sage, ist auch so." Schonungslose Ehrlichkeit, die ihm dazu dient, sein Leben und seine schwierige Kindheit emotional in den Griff zu bekommen.
Schreibblock Wenn Sanil auf dem Sofa der Außenwohngruppe Raben oder in seinem Zimmer mit Schreibblock und i-Pod in lockerer Arbeitshaltung sitzt, ahnt man nicht gleich, was in dem höflichen Jugendlichen mit den großen braunen Augen vorgeht. Die Zeilen, die er zu eingängigen Beats notiert, sprechen eine kreative und selbstreflektierende Sprache: "Mama, du warst nie da, du hast nicht auf mich aufgepasst, ich war allein auf dem Spielplatz und es hat dir nix ausgemacht", heißt es in einem Lied. Er hat es vor rund einem halben Jahr komponiert.
Beeindruckend sind Rhythmusgefühl und Stimme, von denen sich manch gestandener Profi-Rapper eine Scheibe abschneiden kann. Was wirklich aufhorchen lässt, ist die Verletztheit, die aus seinen Inhalten spricht. So ist auch sein erstes Lied "Ich brauch euch nicht", das vor gut einem dreiviertel Jahr entstanden ist, als klare Absage an seine Eltern zu verstehen.
Tränen in der Nacht, vergessene Geburtstage und das Gefühl, auf sich allein gestellt zu sein: Mit fünf Jahren kam Salji mit sechs seiner neun Geschwister ins Kindersolbad und noch heute kann er die Unaufrichtigkeit nicht fassen. "Meine Mutter hat gesagt, wir fahren in den Urlaub und wir haben uns so gefreut." Der Reisebegleiter war ein Mitarbeiter des Jugendamts. Er brachte die Kinder, die in ihrem alten Zuhause zu viert auf einer Matratze schliefen, in die geordneten Verhältnisse des Kindersolbads.
Dort hat er seinen Weg nach einem schweren Anfang gefunden. Auch in der Jagstfelder Außenwohngruppe, in der der Schüler seit Juli 2007 wohnt, stehen für die acht Jugendlichen rund um die Uhr Jugendheimerzieher zur Verfügung. Rainer Kühlwein lobt Sanils Rap-Ambitionen, auch wenn manche Lieder mit Aggressionen und Kraftausdrücke im Kindersolbad keine Akzeptanz finden. "Er bringt das, was ihn bewegt, gut rüber."
Nicht zuletzt, weil er als Sanil das Komponieren zum persönlichen Lösungsweg kultiviert hat: Verschriebene Psychopharmaka nach einer Depression vor knapp zwei Jahren "habe ich gar nicht genommen", sagt er. Stattdessen hat er mit dem Rappen angefangen, das ihm sein tödlich verunglückter Bruder Dennis beigebracht hat: "Das bringt mir mehr als alle Tabletten."
Seine Lieder perfektioniert er im Tonstudio des Böckinger Jugendhauses. Den i-Pod hat ihm sein Bruder Sinad (18) vom Lehrlingsgehalt als Elektriker spendiert. Er gibt ihm als eine Art Vater-Ersatz Halt und ist in manchen Musikvideos zu sehen. Der Zusammenhalt unter den Geschwistern ist groß: "Wir wissen, dass wir keine Eltern hatten und uns gegenseitig helfen müssen." Seiner Mutter, zu der er wie zum Vater kaum Kontakt hat, hat er das Lied vorgespielt, das sie betrifft: "Sie hat gar nicht richtig hingehört."
Kein Selbstmitleid Im Lied "Rapstar" heißt es: "Viele von euch sagen, ich wär ein Blender, weil ich über mein Leben gerappt hab, doch du wirst sehen, wer zuletzt lacht". An seinen Raps will er dranbleiben, auch an Liedern, die wie "Es bringt dir nichts" gegen Drogen und Selbstmitleid gerichtet sind − im September wird er mit seinen Bewerbungen im Wunschberuf Fahrzeuglackierer beginnen.