Zusammen oder getrennt?
Ist eine Geschlechtertrennung im Sportunterricht sinnvoll oder überholt? Zu Besuch bei der Klasse 10b von Sportlehrer Felix Reichert an der Heinrich-von-Kleist-Realschule in Böckingen.
Ein Donnerstagmorgen, 9.15 Uhr. An der Heinrich-von-Kleist-Realschule im Heilbronner Stadtteil Böckingen steht für die 10. Klasse Sport auf dem Stundenplan. Heutige Disziplin: Springen, es wird auch benotet. Kästen und Matten werden aufgestellt, nach dem Aufwärmen stellen sich die Schülerinnen und Schüler in drei Reihen auf – Mädchen und Jungen gemischt. Spätestens seit der Corona-Pandemie werden Schulklassen nicht mehr nach Geschlechtern getrennt unterrichtet. Zuvor bestanden die Sportgruppen aus den Mädchen und Jungen der jeweiligen Parallelklassen. Wegen der Ansteckungsgefahr sollen die Klassen jetzt ganz unter sich bleiben.

Was beim Mattenspringen zu beobachten ist: Sobald es zu den Aufwärmübungen und dem eigentlichen Springen geht, werden vor allem die Mädchen zögerlicher. Sie nehmen nur wenig Anlauf, springen weniger kräftig in das Sprungbrett. Die Jungs lassen sich hingegen kaum davon beirren, dass ihnen eine ganze Scharr Mädchen zuschaut, wie sie schwungvoll über die Kästen springen. Es scheint, als würden die Hemmungen in einer Sportklasse, die nicht nach Geschlechtern getrennt ist, für manche Teilnehmenden größer sein als umgekehrt. Doch ist eine Geschlechtertrennung im Sportunterricht nicht längst überholt?
Koedukatives Unterrichten
Die Diskussion über ein durchgängig koedukatives, also nicht nach Geschlechtern getrenntes Unterrichtsmodell, ist nach wie vor umstritten. Viele Eltern wollen, dass ihre Kinder nicht nach ihrem Geschlecht aus einer Gruppe aussortiert werden. Oft sind die Schülerinnen und Schüler aber für eine Geschlechtertrennung.
Sportlehrer Felix Reichert, der die Schulklasse an der Böckinger Realschule unterrichtet, hat seine eigene Meinung: „Gerade mit Beginn der Pubertät beginnen viele Jugendliche, sich zu genieren, wenn sie vor dem anderen Geschlecht sportliche Leistungen erbringen sollen.“ Der ausgebildete Sport- und Gymnastiklehrer und Sporttherapeut ist überzeugt von dem Unterrichtsmodell der Geschlechtertrennung. „Wenn die Schülerinnen und Schüler unter Gleichgeschlechtlichen bleiben, macht ihnen der Sportunterricht mehr Spaß. Dann sie sind leistungsfähiger, und man kann viel besser mit ihnen arbeiten. Das wirkt sich positiv auf ihre Noten aus.“ Nach seinen Erfahrungen sei das Leistungsniveau etwa ab der siebten Klasse bei Mädchen und Jungen so unterschiedlich, dass ihre Motivation eher ab- und das Schamgefühl zunehme. Das sieht auch Referendar Nico Weikum so: „Man muss viel mehr differenzieren und ganz unterschiedliche Aufgaben und Übungen machen“, sagt der 25-Jährige. Einen Fall von transgender Schülerinnen oder Schülern, bei dem die Geschlechtertrennung neu bewertet werden müsste, gab es an der Heilbronner Realschule noch nicht.
Die Meinungen der Schülerinnen und Schüler sind gemischt. Die 16-jährige Raeka Kazerooni Haghighat etwa findet, man solle die Klassen gemischt lassen. „Ich geniere mich auch manchmal vor Mädchen, die Geschlechtertrennung tut also nichts zur Sache. Ich finde es besser, wenn alle das Gleiche machen.“ Und der 16-jährige Waldemar Prokopenko meint: „Wenn wir mehr als nur sieben Jungs in der Klasse wären, wäre es besser, die Klassen zu trennen. So ist es aber in Ordnung. Hier wird niemand ausgeschlossen.“
Corona
Seit Herbst 2019 unterrichtet Felix Reichert Sport an der Böckinger Realschule. Der 26-Jährige arbeitet seit seinem 16. Lebensjahr mit Kindern und Jugendlichen. „Das macht mir einfach Spaß, deshalb bin ich Sportlehrer geworden.“ Reichert ist selbst begeisterter Sportler, spielt aktiv Handball, seit er sechs Jahre alt ist. Derzeit macht der Horkheimer eine Ausbildung zum Tennistrainer. Als er an der Heinrich-von-Kleist-Realschule begann, wurde er schnell vor Hindernisse gestellt: Wegen der Corona-Pandemie fiel der Sportunterricht erst einmal vollständig aus.

Und Homeschooling? Das ist gerade für Sportlehrer wie Felix Reichert nicht einfach. Mit Sportübungen, gemeinsamen Workouts und einem Lauftagebuch spornte Reichert die Schülerinnen und Schüler auch über die Distanz hinweg an, motiviert und fit zu bleiben. „Das war aber nicht einfach, man kann schlecht kontrollieren, ob die Schülerinnen und Schüler das auch umsetzen. Die Auswirkungen hat man dann zu Beginn des Präsenzunterrichts gesehen“, so Reichert.
Mittlerweile findet der Sportunterricht wieder größtenteils normal statt. „Die Schüler lassen sich drei Mal die Woche testen, und wir als Sportlehrer versuchen natürlich auch, kontaktarme Sportarten zu unterrichten“, sagt Reichert. Trotz der noch andauernden Pandemie ist Reichert erleichtert über die aktuell geltenden Regeln im Sportunterricht und hofft auf weitere Lockerungen, sodass die Klassenstufen bald wieder nach Geschlechtern getrennt unterrichtet werden können. „Man muss hier aber viel Geduld haben und immer wieder improvisieren. Für die Schüler wünsche ich mir mehr Motivation und Sportbegeisterung."

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