Waldheide-Unglück: Als alle Welt auf Heilbronn schaute
Am 11. Januar 1985 explodierte auf der Waldheide der Motor einer Atomrakete. Drei Soldaten starben. Schlagartig rückte Heilbronn in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Wie die Welt war die Stadt damals in zwei Lager geteilt.
Freitag, 11. Januar 1985. 20 Grad Minus. Das Unterland liegt unter einer hohen Schneedecke. Larry Nichols erinnert sich noch gut, wie er an diesem eiskalten Freitag mit einem Lkw unterwegs ist. Auf Höhe von Ellhofen wird plötzlich das AFN-Radioprogramm unterbrochen, also der Army-Senders American Forces Network: „Achtung. Sondermeldung. Heilbronn, Germany. Auf Fort Redleg hat es eine Explosion gegeben.“ Postwendend steuert der US-Amerikaner über die Jägerhausstraße die Waldheide an. „Doch da geht gar nichts mehr, alles gesperrt, überall Polizei, Feuerwehr, Ambulanzen und Helikopter.“
Freitag, 10. Januar 2014. Strahlend blauer Himmel. Frühling mitten im Winter. Larry Nichols und William Aponte stapfen auf einem Trampelpfad über die Waldheide. „Da ist es“, sagt Nichols, blinzelt in die Sonne und deutet Richtung Süden, wo sich im Gegenlicht ein acht Meter hoher Fahnenmast abzeichnet. „Das ist der Ort.“ Der Ort, an dem vor 29 Jahren, am 11. Januar 1985 gegen 14 Uhr das Triebwerk einer Pershing-II-Rakete explodierte und drei Soldaten in den Tod riss.

Kalter Krieg
Es war mitten im Kalten Krieg und der Rüstungswahnsinn zwischen West und Ost auf dem Höhepunkt, erinnert William Aponte. „Ich war damals in den USA. Wir saßen nur noch vor dem Fernseher. Das war ein großes Ding, wie später der 11. September 2011 in New York. Alle Welt schaute auf Heilbronn.“
Der heute 58-jährige Aponte war 1981 bis 1983 in Heilbronn stationiert und schob als „Private“, also als junger Soldat, Wache auf der Waldheide. Später lernte er seine aus Oedheim stammende Frau Renate kennen. Nichols arbeitete bereits 1972 bis 1975 hier, als Corporal musste er auf der Waldheide auf Hubschrauber aufpassen. Weil er zu Zeiten des Vietnam-Krieges in seiner Heimat böse beschimpft wurde, kehrte der Ex-Soldat Ende der 70er zurück ins Unterland, lernte Sylvia kennen und lebt wie Aponte inzwischen als Ruheständler in Böckingen. Erst vor zwei Jahren haben beide die „International Veterans Association“ mitbegründet.
Der Kreis schließt sich. Die amerikanischen Freunde erreichen den Fahnenmast. Sein Betonsockel dient als Denkmal. Nichols hat das tonnenschwere Teil in direkter Nachbarschaft zu einem älteren, naturbelassenen Gedenkstein diesen Sommer installiert, zusammen mit dem Heilbronner Maurer Ralf Haas. Auf den ersten Blick mutet das Gebilde wie ein Bunker an, „ganz bewusst“, wie Nichols zu verstehen gibt. Auf der abgeschrägten Flanke hat er eine Gedenktafel anbringen lassen. „Least we forget, wenigstens vergessen wir nicht“, wie er frei übersetzt. Die Mittagssonne bringt die Buchstaben zum Leuchten.
Prediger
Plötzlich mutet das Mahnmal wie ein Pult an und Larry Nichols wie ein Prediger. Er lässt den Blick über die Waldheide schweifen, vor seinen Augen scheint sich ein Film abzuspielen. „Schau, dort drüben war die Landebahn, dort stand ein Tower. Alles weg. Nur mein Helikopter-Hangar steht noch. Das ist heute ein Schafstall“, sagt der 58-Jährige und deutet auf Gebäude 901 am ehemaligen Tor 2. „Sonst ist nichts übrig geblieben von der Festung. Unvorstellbar. Hier lagerten einmal Atomraketen.“ Dann ist er kurz still. „Heilbronn war für die Russen eine einzige große Zielscheibe. Das wollte damals keiner wahrhaben. Im Ernstfall wäre von dieser Stadt nichts mehr übrig geblieben.“