Suppenkönig verteilte Musterpäckchen
Geschichten aus Altheilbronn (6) - Knorr war der erste Riesenbetrieb - Der Rat des Meisters

Jenseits des Fleiner Tors wehen durch das südliche Stadtviertel von Altheilbronn merkwürdige Düfte. Ein Hauch von Erbswurst dringt aus der Suppenfabrik von Knorr am Rathenauplatz. Süßlich schmeckt der Dampf aus der Schnitzeltrockenanlage der Zuckerfabrik am Rosenberg. Dazwischen mischen sich die Gerüche aus dem Sprühturm der Waschmittelwerke Flammer an der Südstraße.
Zusammen mit der Silberwarenfabrik Bruckmann in der Lerchenstraße, die keinen Beitrag zum Heilbronner Parfüm leistet, haben sich vier der bedeutendsten Unternehmen von Altheilbronn in der Südstadt angesiedelt.
Als die 21-jährige Knorrianerin Sofie Eckert 1930 mit dem Gedanken spielt, von Knorr zu einer anderen Firma zu wechseln, hat Meister Münzing aus Böckingen zu ihr gesagt: Mädle, bleib da. Wir send a Nahrungsmittelg schäft. Und dös geht net unter! Die Sofie hat bis zu ihrem Ruhestand auf den Rat gehört. Und wenn eine junge Kollegin einen Wechsel erwägt, sagt sie wie weiland Meister Münzing: Mädle, bleib da!
Recht haben sie, der Münzing und die Eckert! Flammers Dirndl-Kernseife, Flambol-Paste, Toki & Co gibt s nicht mehr. Gleiches gilt für Bruckmanns preisgekrönte Silberbestecke. Dagegen bestehen die nach Offenau umgesiedelte Zuckerfabrik und die Suppenküche unter Unilever-Dach sogar noch am gleichen Ort in der Südstadt.
Als erstes Heilbronner Unternehmen hat sich Knorr um 1914 mit fast tausend Mitarbeitern zum Riesenbetrieb entwickelt. Krupp-Kanonen und Knorr-Suppen, auf die können wir uns verlassen , wird im Ersten Weltkrieg zum geflügelten Spruch auf Landser-Postkarten.
Gründer des Heilbronner Suppen-Imperiums ist Carl Heinrich Knorr (1800 - 1875) aus Braunschweig gewesen. Dank der Mitgift seiner Heilbronner Braut Caroline Seyffardt hat er 1838 mit einem Specereiwaren-Geschäft in der Kaiserstraße und einer Kaffeefabrik vor der Neckarbrücke begonnen.
Als Großhändler für Landesprodukte setzt er 1859 den Grundstein für sein Unternehmen, das sich ein halbes Jahrhundert später als die modernste Suppenküche Europas rühmen kann. Frühzeitig hat Knorr erkannt, dass im Zeichen der industriellen Revolution auch zeit- und arbeitssparende vorgefertigte Lebensmittel von gleichbleibender Qualität gefragt sind. Mit der Patentsparsuppe Victoria wird er zum Pionier der Convenience-Produkte , wie man heute neudeutsch zu Fertiggerichten sagt.
Um die Fabrik in der Südstadt erweitern zu können, machen die
Knorrs 1899 aus ihrem Familienbetrieb eine AG, sichern sich die Mehrheit und bauen Bastionen im In- und Ausland. In Heilbronn gehören sie längst zur Hautevolee und mit ihrer Lerchenburg zu den ersten Villenbesitzern am Lerchenberg, dem künftigen High-Society-Viertel. Ungekrönter Suppenkönig wird er überregional gerühmt, der Kommerzienrat C. H. E. Knorr (1843 - 1921), der in zweiter Generation das Unternehmen steuert. Für die Heilbronner ist er trotz viel Respekt der Suppen-Karle , der bei Spaziergängen auf der Allee leutselig Musterpäckchen seiner Produkte an die Passanten verteilt.
Als 1926 Sofie Eckert bei Knorr im Gemüsebau anfängt, liefern Bauern und Gärtner ihre Produkte selbst ab; sie ist für gelbe Rüben zuständig, die sie abschabt und in Würfel schneidet. Nächste Station ist der Packsaal für Haferflocken, die sie aus einer Büchse holt, abwiegt und in entsprechender Menge in eine Packung leert. Einer schüchternen Kollegin, der vorgehalten wird, sie arbeite zu langsam, rät Sofie: Du musch net so gewissehaft sei. Eifach ohne Waag neischerre und vollstopfe. Was isch scho, wenn a bissle mehr drin isch. Die Leut schimpfe net, wenn se nachwiege.
Ein übermannshoher Super-Hahn gondelt in den 30er Jahren als lustige Werbung für Kikeriki-Makkaroni auf einem Lastwagen durch die Gegend. Im Zweiten Weltkrieg ab 1939 ist Schluss mit lustig. Wohl wird wegen gestiegener Nachfrage ein 45 Meter hoher Getreidesilo gebaut, auch steigt die Zahl der Beschäftigten auf fast 2000. Aber dann folgen Tod und Zerstörung.
Wird fortgesetzt