Vor 40 Jahren fiel das Jugendstil-Theater des alten Heilbronn
Das Jugendstilgebäude, im Zweiten Weltkrieg beschädigt, nach außen hin beinahe unverletzt, war ein Vierteljahrhundert lang Anknüpfungspunkt für Erinnerungen an das Vorkriegs-Heilbronn und zugleich ein Dorn im Auge der Stadtplaner.

Sentimentalität, schrieb die Heilbronner Stimme am Samstag, den 18. Juli 1970, "kann man sich heutzutage erst erlauben, wenn vom alten Stadttheater nur noch die Erinnerungen leben. Also bald: ab heute Nachmittag."
Ob es sich tatsächlich um Sentimentalität handelt und nicht vielleicht eher um ernsthaftes Bedauern, sei dahingestellt; das besagte Gefühl jedenfalls erlauben sich die Heilbronner durchaus, damals wie heute. Es bezieht sich auf einen Augenblick, der sich dieses Wochenende zum 40. Mal jährt: den Augenblick, in dem eine Sprengung das alte Stadttheater für immer aus dem Heilbronner Stadtbild tilgte.
Das Jugendstilgebäude, im Zweiten Weltkrieg beschädigt, nach außen hin beinahe unverletzt, war ein Vierteljahrhundert lang Anknüpfungspunkt für Erinnerungen an das Vorkriegs-Heilbronn und zugleich ein Dorn im Auge der Stadtplaner.
An jenem Samstag also erlebt Heilbronn das, was als "die größte zivile Sprengung in einer europäischen Innenstadt" in die Bücher eingehen soll. Mehr als tausend Schaulustige sammeln sich am nördlichen Ende der Allee, um das spektakuläre Ende des ab 1911 errichteten Baus zu beobachten.
Um 15.38 Uhr stößt Sprengmeister Heinz Merkle vor dem Haus des Handwerks erstmals ins Horn: der Befehl, in Deckung zu gehen. Zwei Minuten später signalisiert der zweite Hornton: "Es wird gezündet und gesprengt."
Platz für Neubau
Kaum hat Merkle zweimal auf den Knopf der Zündmaschine gedrückt, detonieren 516 Kilogramm Sprengstoff in 4000 Bohrlöchern. Das Theater sackt in sich zusammen, dicke, rotbraune Wolken hüllen den Theaterplatz ein, die Feuerwehr säubert mit Wasser die Luft. Was bleibt, ist ein acht Meter hoher Berg aus Trümmern, der in wochenlanger Arbeit von Lastwagen auf den Wolfszipfel am Wartberg gekarrt werden wird.
Nun ist "Platz geschaffen für den Neubau", stellt die Heilbronner Stimme nüchtern fest. Bürgermeister Erwin Fuchs seinerseits bekennt offenherzig: "Es war eine Stunde der Wehmut." Und an einer Haustür am Berliner Platz steht ein älterer Mann, starrt auf den Trümmerhaufen und kann seine Tränen nur mühsam zurückhalten.
Heute, 40 Jahre später, gibt es viele, denen es geht wie Elke Tritschler-Ueltzhöfer. Viele, die sich wünschen, statt des neuen stünde das alte Theater noch da. Als Kind hatte die Heilbronnerin vier Jahre lang in dem baufälligen Gebäude Ballettunterricht. "Das war für mich als Neunjährige sehr beeindruckend und abenteuerlich", erinnert sie sich, "weil überall Ruinenteile lagen."
Die Erinnerung ist der Ort, an dem das alte Stadttheater auch heute noch existiert.
*Hinweis: bei diesem Text handelt es sich um einen Archiv-Artikel aus dem Jahr 2010.