„Heilbronn ist zaghaft, oberflächlich, laut“
Heilbronn - Der in Horkheim aufgewachsene Chef der Architektenkammer Heilbronn, Karl Adolf Herzog, ist ein Freund klarer Worte. Seine teils scharfe Kritik am Stadtbild will er konstruktiv verstanden wissen. Im Gespräch mit Kilian Krauth nennt der 66-Jährige Schattenseiten, aber auch Lichtblicke und sehnt sich nach mehr Vorbildern für eine regionale Baukultur.
Heilbronn - Der in Horkheim aufgewachsene Chef der Architektenkammer Heilbronn, Karl Adolf Herzog (Foto: Archiv/Krauth), ist ein Freund klarer Worte. Seine teils scharfe Kritik am Stadtbild will er konstruktiv verstanden wissen. Im Gespräch mit Kilian Krauth nennt der 66-Jährige Schattenseiten, aber auch Lichtblicke und sehnt sich nach mehr Vorbildern für eine regionale Baukultur.
Seit Jahren predigen Sie Qualität. Schaut man sich aber in unseren Unterländer Neubaugebieten um, trägt ihre Bildungsarbeit wenig Früchte.
Karl Adolf Herzog: Ich bin ein unverbesserlicher Optimist und würde mich auch um das letzte verlorene Schaf kümmern. Je qualitätsvoller ein Ort, desto qualitätsvoller die Bürger. Das hat Heilbronn früher ausgezeichnet. Heute sind die meisten Projekte aber auf Gewinnmaximierung ausgerichtet - und entsprechend sehen sie aus.
Ist die Stadt also ein Spiegelbild ihrer Bewohner?
Herzog: Im Prinzip ja. Ich würde aber eher sagen: Das Stadtbild formt die Menschen. Münchener sind wie München, Freiburger wie Freiburg, Heilbronner eben wie Heilbronn.
Nämlich?
Herzog: Zu zaghaft, zu oberflächlich, zu laut, zu wenig qualitätsbewusst. Wenn dies für Bauherren, vor allem im Hinblick auf den hohen Migrantenanteil, der Maßstab bleibt, bin ich gespannt, wie die Stadt in 20 Jahren aussieht. Deshalb ist es auch so wichtig, mit guten Beispielen voran zu gehen.

Herzog: Hoffen wir, dass die ambitionierten Rahmenpläne letztlich auch so umgesetzt werden. In diesem Jahrhundertprojekt steckt in der Tat eine große Chance: nämlich dass in dieser Stadt ein Bazillus für gutes Bauen um sich greift und Heilbronn seine Identität über das Thema Stadt am Fluss stärkt. Vielleicht kann daraus eine regionale Qualität wie in Vorarlberg oder Graz entstehen. Zu hoffen ist, dass sich die Architektur dort an der Qualität der Stadtplanung messen kann.
Was kann man sich im Falle Heilbronns darunter vorstellen?
Herzog: Schauen Sie sich die Neckarufer zwischen Götzenturm und Stadtbad an. Die müssten so gestaltet werden, dass die Menschen das Wasser berühren und eine Beziehung aufbauen können. Bachläufe müssen vom grünen Osten her durch die Stadt den Weg zum Fluss weisen - nicht Kanäle und Schilder.
Aber Heilbronn besteht nicht nur aus dem Neckar.
Herzog: Ein großes Heilbronner Thema sind auch die vernachlässigten Hinterhöfe. Kein Wunder, dass dort ähnlich wie am Neckar weniger Kinder spielen als Bierflaschen von Trinkgelagen kreisen.
In der Oststadt sieht es in der Regel besser aus.
Herzog: Gewiss. Und auch architektonisch gibt es einige moderne Lichtblicke. Zum Beispiel das Wohnhaus Mühlschlegel in der Fichtestraße, das wir am Samstag besuchen. Der Bauherr bricht aus dem üblichen bürgerlichen Duktus aus und wirft seinem bestehenden Gebäude eine Figur über, die neugierig macht. Wenn es zutrifft, dass Architektur versteinerte Musik ist, dann ist dies der Paukenschlag aus der Sinfonie Nummer 94 von Haydn. Das finde ich sehr mutig.
Wenig Mut hatte die Ratsmehrheit am Kiliansplatz.
Herzog: Ich bedauere sehr, dass man sich für die Kilianskirche keine modernere Plattform vorstellen konnte. Man hätte darüber länger und in Ruhe diskutieren sollen. Schlimm finde ich die Entwicklung am Klosterhof: Ist er tatsächlich der gewünschte Magnet? Außerdem plakatieren die Nutzer die ambitionierte Fassade mit Werbung zu. Und die Grundidee der gekippten Fenster, ihr Laufstegcharakter, ist tot.
Viel Mut beweist die Augustinusgemeinde. Sie hat ihren Kirchenraum mit einer Lichthülle umgeben.
Herzog: Damit hat der Kollege Pfeifer in einem eher zweckmäßigen und nüchternen Innenraum aus den 50er Jahren mit einem nachhaltigen Energiekonzept eine sakrale Atmosphäre gezaubert, wie man es sich von einer Kirche wünscht. Wenn man ein Gotteshaus betritt, sollte man Gänsehaut bekommen.
Gibt es in der Stadt auch einen Profanbau, der sowas bei Ihnen auslöst?
Herzog: Es gibt einige sehr gute Beispiele, ein weiteres herausragendes wird die Experimenta. Wie sich der Neubau an den Hagenbucher anschmiegt, wie er diese Geste des Abstürzens über den Mühlkanal wagt. Darin steckt die Art von Spannung, die mich an das erste Rendezvous zweier Verliebter erinnert. Mit diesem Bau dürfte Heilbronn tatsächlich mal ins Rampenlicht der Architektur kommen und überregional positiv Aufsehen erregen.
Samstag: Architektur-Tour
Bundesweit findet am Samstag, 27. Juni, der 14. Tag der Architektur statt. Allein in Baden-Württemberg stehen 41 Veranstaltungen auf dem Programm. Die Architektenkammer Heilbronn bietet eine Busrundfahrt, auf der Vorsitzender Karl Adolf Herzog und andere Experten interessierten Bürgern und potenziellen Bauherren den Blick fürs Wesentliche schärfen. Stationen sind das Wohnhaus Mühlschlegel in der Fichtestraße 15, Heilbronn, die Kirche St. Augustinus an der Goethestraße sowie der Kiliansplatz. Am Rande werden auch andere aktuelle Projekte thematisiert. Treffpunkt: 13.30 Uhr, Busbahnhof Karlstraße, Anmeldung ist erforderlich unter Telefon 07131 / 25 50 88.