Geburtsort Luftschutzstollen
Sontheimer erinnern an besondere Zeit unter Tage - Läusekamm und Babyschreie

Geschichte - Es ist eine beigegraue Betonwand an der Lauffener Straße, hinter der sie als Kind Besonderes erlebten. Hier, im Zentrum von Alt-Sontheim, weist heute nichts mehr auf den großen Luftschutzstollen hin. Doch in den Kriegsjahren ab 1943 waren Albrecht Dürr, Margarete Wotzasek und Irmgard Eckert oft bei Fliegeralarm in dem Gängesystem unter Tage, das im Auftrag des Luftgaukommandos München von Frauen, Zwangsarbeitern und verbliebenen Männern in den Steilhang aus Lösslehm gegraben wurde.
Es ist lange her, viele Erinnerungen sind verblasst. Nur eine dünne Mappe gibt im Heilbronner Stadtarchiv über die große Luftschutzstollenanlage "Klingenäcker" Auskunft. Mehr als ein Jahr Bauzeit, 390 Meter Gesamtlänge, ein Stollenquerschnitt von maximal zwei Meter sind nüchterne Fakten. Obendrüber: sechs bis 15 Meter Lehm als Schutz vor tödlicher Fracht aus der Luft.
Topf statt Toilette In Quergängen mit "ganz düsterer elektrischer Beleuchtung" haben sie auf Bänken gesessen, erinnert sich Albrecht Dürr (77). "Da hatte jeder seinen Stammplatz", mit einer Truhe samt Schloss, in der "ein bisschen Wäsche" lag. Rund 200 bis 300 Menschen, schätzt er, fanden im Stollen Zuflucht. Als Heilbronns Altstadt am 4. Dezember 1944 massiv bombardiert wurde, hat er die starken Erschütterungen im Stollen noch im Gedächtnis. Als Überlebende kamen, "haben ihre Kleider nach Rauch gestunken". Viele Emotionen verbindet er mit dem Stollen nicht mehr. "Er war für uns Normalität. Aber wir hatten dort ein sichereres Gefühl als im eigenen Haus."
Dass ihre Mutter sie und ihre Geschwister gegen Kriegsende daheim in Trainingsanzügen ins Bett legte, um im Notfall sofort in den Stollen zu fliehen, weiß Irmgard Eckert (71) noch. Eine Toilette gab es unter Tage nicht. "Wahrscheinlich haben sie uns auf den Topf gesetzt", vermutet sie. Geschlafen haben sie auf der harten Bank. An Frieren oder Hunger kann sich Irmgard Eckert nicht erinnern. Decken gab es. Wasser nicht. "Die meisten hatten Kopfläuse", berichtet Margarete Wotzasek (85). Ihre Mutter habe sie einmal heimgeschickt, den Läusekamm holen. Streit um den Platz im Stollen habe es immer mal wieder gegeben. Insgesamt aber "waren wir ein friedlicher Gang".
Eine Besonderheit ist allen noch gut im Gedächtnis. In einer Ecke gab es durch Jutesäcke verdeckt einen Raum für Hochschwangere. Das Stöhnen der Frauen und Babyschreie haben sie nicht vergessen.
Ziel Gedenktafel Der Arzt Dr. Weisser hatte im nahen Ackermann-Stift seine Räume. Bei Fliegeralarm war der Stollen die erste Adresse. "Es gibt Stollenkinder, aber niemand weiß, wer es ist", sagt Erwin Eckert (79). Er hofft, dass sich jemand meldet. An die besondere Historie erinnern, ist Eckerts Ziel. "Junge Sontheimer wissen doch nichts von der Anlage." Ihm schwebt vor, eine Gedenktafel an den Mauern anzubringen. Die Frage ist: Wer bezahlt es?
Wolfram Rudolph, Chef des Sontheimer Offenen Kreises (SOK), ist für die Idee aufgeschlossen. "Heute ist doch kein Bewusstsein mehr da, wie schlimm Krieg ist." Im SOK will er den Vorschlag vortragen. Damit Spaziergänger bald nicht mehr achtlos an jener Mauer vorbeilaufen, hinter der viele um ihr Leben bangten.