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Fußgängerzone in Anführungszeichen

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Heilbronn - Man reibt sich die Augen, wenn man das Foto aus den 1970er Jahren sieht: Autos, die über einen Kiliansplatz fahren, der damals eher Straße als Platz ist. Autos, die ganz nah hinter dem Chor der Kilianskirche abbiegen. Auf einer dreispurigen Straße.

Von unserer Redakteurin Franziska Feinäugle

Heilbronn - Man reibt sich die Augen, wenn man das Foto aus den 1970er Jahren sieht: Autos, die über einen Kiliansplatz fahren, der damals eher Straße als Platz ist. Autos, die mit einer heute unverschämt anmutenden Selbstverständlichkeit ganz nah hinter dem Chor der Kilianskirche abbiegen. Auf einer dreispurigen Straße.

In dieser Zeit − wir schreiben das Jahr 1971 − waren die autofreien Innenstädte von heute noch derart unvorstellbar, dass die Journalisten der Heilbronner Stimme das Wort Fußgängerzone vorsichtig in Anführungszeichen setzten. "Fußgängerzone". So, als wollten sie sagen: eine sogenannte Fußgängerzone.

Probeweise gesperrt

"Erstmals ,Fußgängerzone’ in der Heilbronner City", meldet also die Zeitung im Herbst 1971 und kündigt für den "verkaufsoffenen Samstag" am 1. Oktober eine kleine Sensation an: Zum ersten Mal werde die Fleiner Straße zwischen Kiliansplatz und Deutschhofstraße "probeweise von 9 bis 18 Uhr" zur autofreien Fußgängerzone erklärt. Um "Erfahrungen zu sammeln", werde die Aktion an allen Samstagen bis Weihnachten und an mehreren Tagen im Dezember wiederholt.

Dreispurig um die Kilianskirche, parken mitten auf dem Platz: In den 70er Jahren war das Nebeneinander von Autos und Passanten in der Heilbronner Innenstadt noch eine Selbstverständlichkeit.Fotos: Archiv
Dreispurig um die Kilianskirche, parken mitten auf dem Platz: In den 70er Jahren war das Nebeneinander von Autos und Passanten in der Heilbronner Innenstadt noch eine Selbstverständlichkeit.Fotos: Archiv
Bereits nach dem zweiten Samstag zeichnet sich eine neue Erkenntnis ab: "Die ,Fußgängerzone’ müsste vom Kiliansplatz nicht nur bis zur Deutschhofstraße, sondern weiter zur Großen Bahngasse reichen", kommentiert die Stimme. Die Fußgänger, so heißt es weiter, "gewöhnen sich allmählich daran, dass sie sich samstags in der Fleiner Straße auch auf der Fahrbahn unbehindert bewegen können".

Überhaupt setzt sich der anfangs noch in Anführungszeichen gesetzte Gedanke rasch durch. Ende Oktober 1971 wird "ein entscheidender Schritt vorwärts" vermeldet: Nun soll die Fleiner Straße nicht mehr nur samstags, sondern täglich von 9 bis 19 Uhr "nur für die Fußgänger freigehalten werden".

Geschäftsleute protestieren

Im selben Artikel geht es auch um die Frage, "ob auch ein Teil des Marktplatzes oder das gesamte Areal in absehbarer Zeit von Kraftfahrzeugen geräumt werden wird". Die umliegenden Geschäftsleute, so ist zu lesen, haben schwerwiegende Proteste angemeldet.

Der 4. November 1971 schließlich ist der Tag, ab dem rot-weiße Gatter die Heilbronner Fußgängerzone für Fußgänger reservieren. "Die Heilbronner Passanten nahmen die seitherige Fahrbahn vorerst noch zaghaft in Besitz", schreibt der Redakteur, der alles beobachtet hat. "Sie müssen vorläufig auch noch um Parkuhren Slalom laufen."

In die Umgewöhnung der Autofahrer wiederum bindet die Stadtverwaltung elegant alle Friseure des Stadt- und Landkreises ein: Das Ordnungsamt versorgt sämtliche Salons mit Faltblättern, die über die neue Regelung informieren. Der Hintergedanke: "Das Amt für öffentliche Ordnung rechnet damit, dass die autofahrenden Zeitgenossen regelmäßig einen der Unterländer Figaros aufsuchen werden."

Drei Jahre später wird auch die Sülmerstraße zur Fußgängerzone. In den Zeitungsberichten von 1974 wird das Wort bereits ganz selbstverständlich verwendet − ohne distanzierende Anführungszeichen.

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