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„Ich vermisse grundsätzlich Menschen, nicht Orte“

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Die Heilbronnerin Kristin Helberg (33) ist freie Korrespondentin im Nahen Osten

In ihrem Element und bei der Arbeit: Die gebürtige Heilbronnerin Kristin Helberg interviewt einen UN-Soldaten im Nahen Osten.Foto: privat
In ihrem Element und bei der Arbeit: Die gebürtige Heilbronnerin Kristin Helberg interviewt einen UN-Soldaten im Nahen Osten.Foto: privat

Kristin Helberg berichtet seit 2001 als freie Korrespondentin aus der syrischen Hauptstadt Damaskus über den Nahen Osten, vor allem für den Hörfunk (ARD, ORF), aber auch regelmäßig für die Tageszeitung taz und Neue Zürcher Zeitung. Die 33 Jahre alte gebürtige Heilbronnerin begann ihre journalistische Karriere 1994 mit einem Praktikum bei der Heilbronner Stimme und fühlt sich in einer der spannungsreichsten Regionen der Welt wohl und sicher - auch als Frau, wie sie Helmut Buchholz erzählt.

Syrien wird als „Schurkenstaat“ bezeichnet. Wie frei sind Sie dort?

Kristin Helberg: Syrien ist islamisch geprägt, aber offiziell ein sozialistischer säkularer Staat, zehn Prozent der Syrer sind Christen. Deshalb wundert sich jeder Besucher zunächst über die Vielfalt der Menschen dort. Sie sehen junge Mädchen mit und ohne Kopftuch, die eine im langen Mantel, die andere in enger Jeans und offensichtlich bestens befreundet. Restaurants bieten - je nach Einstellung des Besitzers - Alkohol an oder nicht, das Bier wird in Syrien staatlich gebraut.

Wie sicher fühlen Sie sich als Frau in diesem Land?

Helberg: Als Frau werde ich respektiert und in der Regel sehr zuvorkommend behandelt. Ich kann anziehen was ich will und fühle mich auf den Straßen in Damaskus zu jeder Tages- und Nachtzeit sicher. Syrien ist überhaupt das sicherste Reiseland, das ich erlebt habe. Die Gastfreundschaft der Menschen ist immer wieder überwältigend und für Europäer fast beschämend, wenn wir daran denken, wie Ausländer bei uns oft behandelt werden.

Was ist das meist verbreitete Vorurteil, das wir zu Hause von Muslimen, von Syrien haben?

Helberg: Das Problem ist, dass sich angesichts der vielen negativen Schlagzeilen aus der Region alle Eindrücke vermischen: Burka-tragende afghanische Frauen, die ihre Töchter nicht zur Schule schicken dürfen, „Allahu-akbar“-schreiende junge Männer in Palästina, Bombenanschläge im Libanon, Ehrenmorde in Jordanien, Entführungen im Irak. Daraus entsteht in unseren Köpfen ein Brei aus Fanatismus, Gewalt und Unterdrückung, der mit Islam und Arabern in Verbindung gebracht wird, aber zum Beispiel mit dem Alltag in Syrien wenig zu tun hat.

Sondern?

Helberg: All diese Probleme und Missstände haben Ursachen - vor allem politische, teilweise kulturelle - aber sie liegen weder in der Natur des Islam noch der Araber. Drehen wir den Spieß um: Den Schlagzeilen zufolge besteht Europa aus drogenabhängigen Jugendlichen, Kinderschändern, in Mülltonnen versteckten Babies und Rentnern, die von niemandem bemerkt tot in der Wohnung liegen. Und Schuld daran sind das Christentum, die Aufklärung oder der westliche Liberalismus?

Was haben Sie in Damaskus gelernt?

Helberg: Dass es keine einfachen Wahrheiten gibt, kein Schwarz und Weiß. Die Probleme sind zu vielschichtig, um sie mit einfachen Freund-Feind-Schemata erklären zu können.

Ich kann mir vorstellen, dass ihre Eltern in Heilbronn nicht gerade jubiliert haben, als sie hörten, dass Sie nach Damaskus wollten.

Helberg: Da ich schon immer gerne im Ausland unterwegs war, sind meine Eltern an solche Unternehmungen gewöhnt. Mit 16 bin ich mit einem Interrail-Ticket durch Europa gereist, nach dem Abitur habe ich ein halbes Jahr lang mit dem Rucksack Lateinamerika erkundet, während des Studiums war ich viel im Ausland. Da kam der Entschluss, aus dem Nahen Osten für deutschsprachige Medien zu berichten, nicht überraschend.

Vermissen Sie Heilbronn?

Helberg: Ich vermisse grundsätzlich eher Menschen, nicht Orte. Ein Zuhause kann ich mir überall aufbauen, aber Heimat ist für mich der Ort meiner Kindheit und Jugend. Insofern wird Heilbronn immer meine Heimat bleiben.

Wieso sind Sie weg von Heilbronn?

Helberg: Mich hat es immer in die Ferne gezogen, nicht weil mir Heilbronn nicht gefallen hätte, sondern weil andere Länder, Sprachen und Kulturen mich faszinierten.

Und, sind Sie jetzt klüger?

Helberg: Durch die Auslandsaufenthalte habe ich viel über mich, meine Kultur und gesellschaftliche Prägung erfahren. Ich habe gesehen, dass es in anderen Teilen der Welt anders zugeht und gelernt, nicht alles sofort zu bewerten.

Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?

Helberg: Ich mache genau das, was ich schon immer machen wollte, also werde ich auch in Zukunft zwischen Deutschland und der islamischen Welt pendeln. Ich versuche mich als Brückenbauerin zwischen den Zivilisationen, will aber keine Wahrheiten verkaufen, sondern die Menschen überraschen und dadurch nachdenklich machen. Ein bisschen am Weltbild der Unterländer zu rütteln, das kann vielleicht nicht schaden.

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