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Heilbronn
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Gefallene Mädchen wieder aufrichten

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Seit 60 Jahren wendet sich die Mitternachtsmission Frauen am Rand der Gesellschaft und im Rotlichtmilieu zu

Von unserer Redakteurin Ulrike Bauer-Dörr
Schwester Frida eröffnete 1955 eine Auffangstelle für Frauen aus dem Milieu und deren Kinder. Die befand sich in ihrer Privatwohnung in der Sontheimer Straße.Foto: privat
Schwester Frida eröffnete 1955 eine Auffangstelle für Frauen aus dem Milieu und deren Kinder. Die befand sich in ihrer Privatwohnung in der Sontheimer Straße.Foto: privat

Für Frauen, die sich als Prostituierte verdingen, gab es früher ein eindeutig-zweideutiges Wort. Im Sinne bürgerlicher Moral waren sie "gefallene" Mädchen. Noch vor 60 Jahren war das in Deutschland ein gängiger Begriff. 1953 stellte die Bundesregierung Gelder zur Verfügung, um "gefallene und gefährdete Mädchen" in Garnisonstädten (wie es Heilbronn wegen der hier stationierten amerikanischen Soldaten war) wieder auf den Pfad zu Tugend zu bringen.

Die evangelische Gesamtkirchengemeinde gab der Herrenberger Ordensschwester Frida den Auftrag, in Heilbronn eine "Auffangstelle" zu gründen, in der neben Prostituierten auch obdachlose und straffällig gewordene Frauen Unterschlupf und Hilfe bekommen sollten. Die Drei-Zimmer-Wohnung befand sich ab 30. Mai 1955 in der Sontheimer Straße 14. Die daraus hervorgegangene kirchliche Beratungsstelle Mitternachtsmission besteht an diesem Samstag, 30. Mai 2015, also 60 Jahre.

Schwester Frida wohnte jahrelang mit den von ihr aufgenommenen Frauen und deren Kindern zusammen, lehrte sie kochen und nähen, richtete sie im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf. Sie schrieb, dass es 1955 in Heilbronn 250 registrierte Prostituierte gab. Von 1200 Frauen war bekannt, dass sie obdachlos waren, beides Gründe, um damals im Gefängnis zu landen.

Chefinnen Praktische Hilfe, Beratung und Seelsorge fanden die Frauen bis 1975 bei Schwester Frida. Von 1975 bis 2000 war Schwester Marianne Wienand geschätzte Chefin der Mitternachtsmission. 1995 kam Sozialpädagogin Alexandra Gutmann dazu. Die heute 47-Jährige leitet die Beratungsstelle in der Steinstraße seit 15 Jahren und engagiert sich für ihre vielschichtigen und benachteiligten Zielgruppen auch unbeirrt politisch.

Die aufsuchende Arbeit im Rotlichtmilieu und auf dem Straßenstrich gehört zum Arbeitsschwerpunkt der Sozialarbeiterinnen Kathrin Geih und Sara Huschmann. Seit drei Monaten fahren sie mit ihrem Kontaktmobil ein bis zwei Mal pro Woche in die Hafenstraße. Dort bauen sie Brücken im wahrsten Sinne des Wortes. "30 Prostituierte und deren Nöte und Schicksale kennen wir inzwischen persönlich, 20 weitere vom Sehen", erzählt Geih. Alle stammen aus Osteuropa. Auf Englisch und in gebrochenem Deutsch wird kommuniziert. Einer Frau hat man kürzlich geholfen, einen Arbeitsplatz in einer Fabrik zu finden, sie geht jetzt nicht mehr auf den Strich. Eine andere litt unter ihren Schulden. Mit ihrem Hauptgläubiger, der Krankenkasse, wurde Ratenzahlung vereinbart, jetzt kann sie endlich wieder zum Arzt.

Frauen aus der Prostitution zu führen, ist schwer. In ihren Herkunftsländern haben sie noch weniger Verdienstchancen als hier bei ihren Freiern. Bei unweigerlich eintretenden Rückschlägen und Enttäuschungen hilft Alexandra Gutmann immer eines: ihr unerschütterlicher, christlicher Glaube.

60 Jahre später: Kathrin Geih (links) und Alexandra Gutmann von der Mitternachtsmission besuchen Frauen aus dem Milieu mit ihrem Kontaktmobil.Foto: Mario Berger
60 Jahre später: Kathrin Geih (links) und Alexandra Gutmann von der Mitternachtsmission besuchen Frauen aus dem Milieu mit ihrem Kontaktmobil.Foto: Mario Berger
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