Pro & Contra: Darf man mit gutem Gewissen WM-Fußball genießen?
Es gibt sehr viel Kritik am Weltmeisterschafts-Turnier in Katar, gerade in Deutschland. Viele Einwände sind berechtigt, aber ist deswegen alles schlecht? Unsere Autoren sind geteilter Meinung.

Es fehlt wahrlich nicht an Kritikern aus allen Bereichen - aus der Welt des Fußballs, der Politik, der Fan-Szene. Der Tenor der Äußerungen ist eindeutig: Diese WM in Katar ist falsch! Das Emirat steht vor dem an diesem Sonntag beginnenden Turnier (bis 18. Dezember) vor allem wegen seiner umstrittenen Menschenrechtslage am Pranger, aber nicht nur.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat gerade erst gesagt: "Die Idee, die Fußball-Weltmeisterschaft bei wie viel Grad in Katar abzuhalten, ist einfach eine bekloppte Idee schon immer gewesen und kann eigentlich nicht anders als durch Korruption erklärt werden." Aus Protest gibt es Fußballfreunde, die alle TV-Übertragungen der WM boykottieren wollen. Darf man wirklich keinen Spaß an den Spielen haben?
PRO: Von Andreas Öhlschläger
Fußball ist Fußball und bleibt Fußball. Fußball ist eine geile Sache. Daran ändern all die unschönen Begleiterscheinungen der Gegenwart nichts. Sicher, der Weltverband Fifa ist eine im Kern korrupte Vereinigung. Ja, die Gier nach dem ganz großen Geld wird immer schlimmer, vor allem bei den Großclubs aus Europa. Keine Frage, die Gehälter, die den Spitzenspielern mit globaler PR-Wirkung bezahlt werden, sind obszön hoch. Und selbstverständlich war es grob falsch, die Weltmeisterschaft nach Katar zu vergeben.
Aber das hätte vor vielen Jahren gerade gebogen werden müssen. Jetzt wird gekickt im Emirat - und warum, bitteschön, soll man sich die Freude daran nicht gönnen dürfen, dass in jedem der WM-Spiele 22 Mann dem Ball hinterherrennen und Tore schießen wollen?
Fußball ist eine geile Sache. Die Zahl der Menschen, die auf der ganzen Welt seiner Faszination verfallen sind, bemisst sich wohl im Milliardenbereich. Gekickt wird auch in den ärmsten Regionen des Planeten, im Staub, im Dreck, im Müll. In den WM-Stadien wird der Ball auf edlem Untergrund rollen - haben wir Spaß daran. Nur daran.
CONTRA: Von Lars Müller-Appenzeller
Die 22. Fußball-Weltmeisterschaft passt bestens in diese verrückten Zeiten, zur Zeitenwende zwischen Krieg, Kostenexplosion und Klimakatastrophe. Auch die Entwicklung der Fußball-Branche ist völlig aus dem Ruder gelaufen, die WM in Katar kann nicht mehr als schönste Nebensache der Welt gelten: Nie war eine WM weiter weg von den Fans, das Turnier am Persischen Golf steht für Korruption, Ausbeutung und Gier.
Dazu passt der (Ausweich-)Termin: In den kommenden vier Wochen kollidiert der nimmersatte und selbstherrliche König Fußball mit so vielen anderen Sportarten, nicht allein mit dem Wintersport. Das wird in den Einschaltquoten zu sehen sein - das muss in den Einschaltquoten zu sehen sein. Diese Zeiten zwingen uns, unser Konsumverhalten nicht nur zu überdenken, sondern zu ändern. Auch vor dem Fernseher.
Nein, man muss sich nicht schämen, wenn man trotzdem Spiele der deutschen Nationalmannschaft anschaut und sich für die Hintergründe interessiert. Aber man muss nicht jeden Kick gesehen haben. Fußball ist nicht alles.