Wie der Dieselskandal Audi in Neckarsulm verändert
Am Montag vor zwei Jahren machten US-Behörden des Dieselbetrug von VW und Audi öffentlich. Die Folgen für den Standort sind vielfältig.

Am Anfang sah es so aus, als mache der Diesel-Orkan einen großen Bogen um Neckarsulm, als die amerikanischen Umweltbehörden Carb und EPA am Abend des 18. September 2015 veröffentlichten, dass VW Dieselfahrzeuge manipuliert hatte. Weit weg vom Neckar schien der Vorgang in Amerika, und der Vierzylinder-Skandalmotor stammte ja von der Konzernmutter.
"Die Audi AG bestätigt, dass alle V6 TDI und V8 TDI, die nach EU 5 oder EU 6 zugelassen sind, alle in den jeweiligen Märkten geltenden Umweltnormen erfüllen", gab eine Audi-Sprecherin der Heilbronner Stimme wenige Tage später sogar ausdrücklich Entwarnung. Dass dieses Statement nicht mehr als heiße Luft war, wollte man im September 2015 noch nicht glauben. Die Ruhe aber war die Ruhe vor dem Sturm: Zwei Monate später wiesen die Amerikaner auch bei den in Neckarsulm entwickelten Drei-Liter-Motoren Abgasmanipulationen nach.
Skandal hat zumindet eine Wurzel in der Region
Inzwischen ist klar, dass der Dieselskandal zumindest eine Wurzel in Neckarsulm hat. Die ersten - legalen - Abschalteinrichtungen für TDI-Motoren wurden hier schon 1999 entwickelt, wenn man den US-Ermittlern Glauben schenken darf: Damals ging es um Klopfgeräusche. Einige Jahre später wurde die Software adaptiert, um die Abgasemissionen für den Prüfstand zu optimieren. Im Normalbetrieb wurden die Vorschriften hingegen nicht eingehalten.
Wie tief der 18. September 2015 - damals war wie heute die Automesse IAA in vollem Gang - die gesamte Branche erschüttert hat, lässt sich nicht nur beim Rundgang durch die Messehallen in Frankfurt erleben, bei der es keinen eigenen Audi-Pavillon mehr gibt. Auch in der Region hat sich vieles verändert. Nicht erst, seit Audi zu Monatsbeginn vier neue Vorstände bekam. Der 2014 bei der großen 25-Jahr-Feier der TDI-Technologie noch als Diesel-Papst gefeierte Neckarsulmer Ruheständler Richard Bauder ist seither in der Versenkung verschwunden. Sein Nachfolger hat von Audi den Laufpass bekommen, ein langjähriger leitender Mitarbeiter sitzt in Haft.
Finanzielle Folgen zu niedrig eingeschätzt

VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh lag mit seinem Brief an die Belegschaft kurz nach Bekanntwerden des Skandals offenkundig richtig: "Wir machen uns Sorgen um unser Unternehmen", schrieb er. Die finanziellen Folgen von mittlerweile mehr als 20 Milliarden Dollar schätzte er allerdings viel zu niedrig ein. Im Werk Neckarsulm sind die Folgen des Skandals heute an vielen Stellen spürbar: Probleme mit Zulassungsbehörden sorgen dafür, dass die hiesigen Diesel-Modelle etwa in Korea nicht vertrieben werden dürfen: Und ohne Ware im Regal kann man keine Autos verkaufen.
Vor dem Hintergrund der eng getakteten Modellwechsel tut das besonders weh - im ersten Halbjahr ist die Zahl der produzierten Fahrzeuge um 22 Prozent zurückgegangen, für die zweite Jahreshälfte sieht es eher schlechter aus. Dass die Zahlen im Audi-Konzern besser sind, ist für den Standort ein schwacher Trost.
Viele Personalwechsel und Umstrukturierungen
Der neue A8 musste mehr als zwei Monate nach der Weltpremiere auf seine Typzulassung warten. Erst nach Beginn der IAA gab das Kraftfahrtbundesamt dem Motor seinen Segen, was den Anlauffahrplan des Neckarsulmer Modells kräftig durcheinanderwirbelte. An den 2015 angekündigten Diesel-Hybrid denkt bei Audi längst niemand mehr, die Verunsicherung bei den Entwicklern ist groß.
Der Ausbau der Sportwagenschmiede im Heilbronner Industriegebiet Böllinger Höfe, über den vor zwei Jahren diskutiert wurde, ist längst vom Tisch. Mit dem Skandal einher gingen viele Personalwechsel und Umstrukturierungen - mit allen Folgen für die Stimmung in der Belegschaft.
Neuer Fokus wird auf alternative Antriebe gelegt
"Die Folgen der ganzen Geschichte wurden erst über die Zeit deutlich", blickt der Neckarsulmer Betriebsratschef Rolf Klotz zurück. "Die Auswirkungen sind und waren finanziell, aber auch in Hinblick auf die Stimmung zu spüren." Dennoch gelte es jetzt, wieder optimistischer nach vorne zu blicken. "Wir müssen den Standort für den Wandel hin zu alternativen Antrieben auf ein ordentliches Fundament stellen." Dafür wird hinter den Kulissen derzeit um die Zukunft gerungen: Welche E-Mobile werden an welchem Standort gebaut? Und mit welcher Fertigungstiefe? Bisher steht Neckarsulm mit leeren Händen da.
E-Mobile sind eine Antwort der Branche auf die weltweit immer strenger werdenden CO2-Abgasnormen: 2021 werden 95 Gramm in der EU zur Obergrenze im Flottendurchschnitt, für 2025 sind Werte von zwischen 68 und 78 Gramm im Gespräch. Allein mit einer Optimierung der Verbrennungsmotoren ist das jedenfalls im Echtbetrieb nicht erreichbar. Im Gegensatz zur Diesel-Manipulation sind E-Autos aber eine legale Methode, die Emissionen zu senken.
Die juristische Aufarbeitung geht weiter
Für Audi-Vorstandschef Rupert Stadler spielt der Diesel indes weiter eine wichtige Rolle. Auf der IAA äußerte er sich zuversichtlich, dass man das Vertrauen der Kunden in den Diesel zurückgewinnen könne: "Ich bin absolut sicher, dass wir das schaffen." Fast das Gleiche hatte er schon vor zwei Jahren an seine Belegschaft geschrieben: "Wir schaffen das!" Abgehakt ist Dieselgate allerdings auch nach zwei Jahren noch lange nicht. Die juristische Aufarbeitung hat in Deutschland erst begonnen.
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