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„Wer hungert, wird aggressiv“

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Heute wird weltweit der Anti-Diät-Tag gefeiert, den die Amerikanerin Mary Evans Young 1992 aus Protest gegen den Schlankheitswahn ins Leben gerufen hat. Auch der Ernährungsspezialist Udo Pollmer ist gegen Diäten, wie er im Gespräch mit Redakteurin Isabell Voigt beweist.

Lebensmittelchemiker und Fachbuchautor Udo Pollmer bei einem Vortrag in Heilbronn. Foto: Archiv/Mugler
Lebensmittelchemiker und Fachbuchautor Udo Pollmer bei einem Vortrag in Heilbronn. Foto: Archiv/Mugler

Herr Pollmer, warum ist es gut, sich Diäten zu verweigern?

Udo Pollmer: Erstens machen Diäten die meisten Menschen dicker als sie vorher waren. Zweitens machen sie unglücklicher und drittens kränker. Ein kräftiger Mensch, der abgemagert ist, ist nicht identisch mit einem von Natur aus schlanken. Natürlich läuft ein Windhund schneller als ein Mops, aber egal welche Diät Sie einem Mops verordnen, er wird abgemagert nicht mit einem Windhund mithalten. Er ist nur kränker.

Es wäre aber besser, normalgewichtig zu sein?

Pollmer: Jeder Mensch ist anders. Die einen sind leptosom, also hager, die anderen pyknisch, also korpulent. Der Hagere nimmt bei Stress und Ärger ab, der Korpulente nimmt dabei zu. Wird ein von Natur aus korpulenter Pykniker „normalgewichtig“, dann stimmt etwas nicht. Das „Normalgewicht“ ist für die meisten Menschen gerade nicht „normal“ – es ist eine ebenso absurde Vorgabe wie eine „Normalgröße“ für alle Menschen. Auch mit der Größe sind Krankheiten verbunden. Je größer ein Mensch, desto höher sein Krebsrisiko. Sollen wir jetzt alle Gesundheitsapostel einen Kopf kürzer machen, damit deren Krebsrisiko sinkt?

Was passiert bei Diäten im Körper?

Pollmer: Sie setzen Ihren Körper einer Hungersnot aus. Sie essen nicht genug – und Sie essen womöglich Dinge, die Ihr Körper gar nicht will. Und irgendwann geht es im Kopf nur noch ums Essen. Man denkt ständig daran, was man nicht essen darf. Außerdem: Wer hungert, wird aggressiv, unausgeglichen, biestig – so reagieren Säugetiere auf Nahrungsmangel. Nach einer Diät schützt sich der Körper mit mehr Speck vor der nächsten Hungersnot. Das ist der Jo-Jo-Effekt.

Aber es gibt Diäten, die als seriös gelten, wie etwa die Brigitte-Diät.

Pollmer: Dem Körper ist es egal, ob die Hungersnot aus der Brigitte kommt oder dem Goldenen Blatt. Natürlich gibt es Beispiele, wie Leute erfolgreich zehn Kilo abgenommen haben. Etwa mit der Atkins-Diät, bei der viel Eiweiß und Fett gegessen wird. Die funktioniert bei jenem Stoffwechseltyp, der auf Fett und Eiweiß eingestellt ist. Wenn er keine Kohlenhydrate mehr essen muss, nimmt der Stress für den Körper ab – das Gewicht sinkt. Frauen erzählen mir manchmal, dass sie erst Gewicht verloren haben, seit sie sich nicht mehr mit dem Thema Diäten beschäftigen. Es geht darum, aus den gedanklichen Fängen auszubrechen. Wenn die Verzweiflung schwindet, sinkt auch das Gewicht.

Ab wann gilt man als dick? Was sagt der Body Mass Index BMI aus?

Pollmer: Wenn Sie das Gewicht eines Menschen mit seiner Größe ins Verhältnis setzen, um daraus seine gesundheitliche Zukunft abzulesen, dann können Sie auch aus Schädelumfang und Körbchengröße einer Diätberaterin den Intelligenzquotienten berechnen. Im Klartext: Der BMI ist nur ein Diskriminierungsinstrument. Jeder Mensch hat einen anderen Körperbau. 

Wie sieht für Sie vernünftige Ernährung aus?    

Pollmer: Das hängt individuell vom Menschen ab – wie er ist, was er mag, und natürlich davon, was er sich leisten kann und will. Deshalb wird niemand, der das Wohlergehen seiner Mitbürger im Auge hat, sich als Ernährungsratschläger betätigen. Jeder Stoffwechsel ist anders und Ernährungsempfehlungen sind nicht besser, als die Empfehlung einer idealen Schuhgröße für alle, samt Tipps wie man die Schuhgröße erreichen kann.

Jetzt gibt es aber anerkannte Gruppen wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), die täglich Obst und Gemüse empfehlen. Liegen die falsch?

Pollmer: Was gesellschaftlich anerkannt ist, ist Zeitgeist. Und der Zeitgeist wird nicht von Fachwissen bestimmt. Ältere DGE-Empfehlungen lauteten noch ganz anders. Damals sollte man möglichst viel Fleisch essen und Ballaststoffe meiden. Die Aussagen werden ja nicht „verbessert“, sondern es wird heute in vielen Punkten genau das Gegenteil behauptet wie früher. Wenn es auf die „richtige Ernährung“ so ankommt, dann müssen diese „falschen“ Empfehlungen von damals doch geschadet haben oder? Und ich verspreche Ihnen: Die neuen Empfehlungen werden auch bald „völlig veraltet“ sein. Was dann?

Sie haben Mal gesagt, eine Wurst hat viel Vitamin C.

Pollmer: Rote Wurstsorten, wie Wiener oder Salami, enthalten nun mal viel Vitamin C und übertreffen damit die meisten Gemüsesorten. Außerdem bietet Wurst auch lösliche Ballaststoffe wie fein zerkleinerte Sehnen. Damit die Bürger brav ihre Rohkost benagen, hat man in den Nährwerttabellen bei der Wurst beides rausgestrichen, damit es so aussieht, als sei ein Salat nahrhafter. Wenn jemand also unbedingt Salat wegen der Vitamine und Ballaststoffe essen will, dann wäre Wurstsalat eine gute Wahl. Wem die Vitamine völlig wurscht sind, der kann auch weiterhin seinen Kopfsalat mit Appetit essen. 

 

Zur Person

Udo Pollmer, Jahrgang 1954, ist Lebensmittelchemiker und Fachbuchautor. Bekannt wurde er mit Büchern wie „Wer gesund isst, stirbt früher“ (blv-Verlag München). Er ist Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften (EU.L.E. e. V.) in München. Udo Pollmer lebt in Gemmingen. 

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