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Telefunken: Vom langsamen Sterben einer Firma

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Den Betroffenen der Telefunken-Pleite und Beobachtern bleibt angesichts der letzten Jahre nur Kopfschütteln.

Von unserem Redakteur Manfred Stockburger
Nur noch wenige Monate wird in diesem Reinraum der Heilbronner Chip-Fabrik von Telefunken Semiconductors produziert. Das Aus ist besiegelt.
Foto: Archiv
Nur noch wenige Monate wird in diesem Reinraum der Heilbronner Chip-Fabrik von Telefunken Semiconductors produziert. Das Aus ist besiegelt. Foto: Archiv

Eine Gruppe von Frauen, die jüngste ist 44, sitzt am Samstagabend in einer Heilbronner Weinstube. Sie tauschen ihre Handynummern aus, denn bei der Arbeit sehen sie sich bald nicht mehr. Die Frauen gehören zu den 135 Beschäftigten der Telefunken Semiconductor GmbH (TSG) in der Theresienstraße, die vergangene Woche vom endgültigen Aus des Betriebs erfahren haben. Eine von ihnen, eine Betriebsrätin, hat mit der Kündigung sogar die sofortige Freistellung bekommen − unbezahlt.

Enttäuschung

Der organisierte Austausch der Handynummern markiert den letzten Akt einer Leidensgeschichte, die die Arbeiterinnen mit pechschwarzem Galgenhumor kommentieren. Dahinter versteckt sich jede Menge Enttäuschung − zu viele Versprechen sind in den letzten Jahren gemacht und gebrochen worden. Nur zwei der Anwesenden hatten Glück: Ihnen reichte es gerade noch in die Rente.

Als die langjährigen Kolleginnen am Ende des von einer schon länger entlassenen Ex-Kollegin organisierten Stammtischabends aufbrechen, bleiben viele Fragen offen. Warum? Wer ist schuld? Hätten die Pleiten vermieden werden können? Und auch: Wie muss es den Kollegen gehen, die schon im vergangenen Jahr ihren Job verloren haben? Aber vor allem: Was kommt jetzt?

Fast zehn Jahre ist es her, dass der US-Konzern Atmel seine Heilbronner Chipfabrik zum ersten Mal schließen wollte, nachdem sich Frank Heinrichts ambitionierte Neubaupläne in den Jahren zuvor in Luft aufgelöst hatten − ihm wird attestiert, dass er der letzte echte Telefunken-Mann an der Spitze der Firma gewesen sei. Schaltkreise für Handys und Autos stellte die Firma damals unter anderem her. Sogar das Frankenstadion hätte für die neue Fabrik überbaut werden sollen. Doch daraus wurde nichts.

Nachdem die Atmel-Belegschaft 2005 die ersten Schließungspläne, die mit dem Namen Bob McConnell verknüpft sind, noch durchkreuzen konnte, ersann das amerikanische Management einen Plan B und verkaufte die Chipfabrik mit 300 Mitarbeitern 2008 an eine dubiose Investorengruppe um Subba Pinamaneni.

Zwei Pleiten

Dessen hochtrabende Pläne endeten 2013 in einer ersten Insolvenz. Zunächst hatte Pinamaneni noch versucht, die TSG mit Geldern am Leben zu halten, die er bei einer US-Schwesterfirma abzweigte. Neben der Heilbronner Pleite kassierte er deswegen eine Schadensersatzklage über 20 Millionen Dollar, die in einem Vergleich endete. Den Mitarbeiterinnen am Stammtisch bleibt Subba vor allem damit in Erinnerung, dass er 2010 bei der 50-Jahr-Feier des Standorts zu tief ins Glas schaute. "Vor mir und einer Kollegin ging er sogar auf die Knie", erzählt die Betriebsrätin in der Runde − und lacht schallend.

Mit Johnny Ng kam der nächste vermeintliche Retter auf die Bildfläche. Sein Geschäftsgebaren hat auch Michael Pluta sprachlos gelassen, den Insolvenzverwalter aus Ulm, dem jetzt nichts mehr bleibt, als das Aus der ehemaligen Atmel-Produktion zu managen.

Aus dem Ruhestand in Baden-Baden verfolgt Frank-Dieter Maier das Geschehen. "Trostlos", nennt der frühere Daimler-Manager das Ende der Firma, die er 1997 im Auftrag des Stuttgarter Konzerns verkauft hatte. "Mit Telefunken hatte das nichts mehr zu tun", sagt er über die TSG. "Dieses Finanzgebaren ist für uns nicht nachvollziehbar."

Dass es Vishey besser geht, der zweiten Hälfte der 1998 aufgespalten Heilbronner Fabrik, verschafft Maier ein wenig Genugtuung: Dort sitzt er im Verwaltungsrat. Auch die Erfolge von Azur-Space und AIM freuen ihn: Diesen anderen Ablegern der alten Telefunken geht es vergleichsweise gut.

Viele ahnten, dass die TSG-Produktionsstätte letztlich nicht zu halten wäre. Auch Romann Greschbach, der langjährige und inzwischen verstorbene TSG-Betriebsratsvorsitzende, hatte der Firma nur noch wenige Jahre gegeben, erzählt der Neckarsulmer IG-Metall-Chef Rudolf Luz. Ohne Investitionen in Technik und ohne neue Produkte lief die Fabrik immer weiter in die Sackgasse.

Die Frauen aus der Weinstube und die längst entlassenen Kollegen können dafür am wenigsten. An den Folgen tragen sie dennoch schwer.

 


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