Steffen Hertwig schafft die Sensation
Herausforderer siegt mit 52,5 Prozent – Amtsinhaber Joachim Scholz unterliegt deutlich – Geringe Wahlbeteiligung.
Eigentlich ist schon alles klar, doch das Endergebnis lässt zähe Minuten auf sich warten, bis der dritte Briefwahlbezirk ausgezählt ist. Steffen Hertwig, SPD-Mann und Herausforderer von Amtsinhaber Joachim Scholz, belehrt alle, die an einen zweiten Wahlgang geglaubt haben, eines besseren. Der Jurist und Leiter der Rechtsabteilung von Würth Elektronik schafft es auf Anhieb, 52,5 Prozent der Wähler hinter sich zu vereinigen. Einige hundert Menschen verfolgen staunend im und um das Rathauses live die Ergebnisse aus den 21 Wahllokalen.
Neckarsulms Baubürgermeisterin Dr. Suzanne Mösel gibt die Sensation von der Rathaustreppe aus bekannt. Enttäuscht raunen viele ob der niedrigen Wahlbeteiligung von 47,3 Prozent bei rund 19 000 Wahlberechtigten.
Faire Geste
Heilbronns Oberbürgermeister Harry Mergel ist der erste, der dem künftigen Oberbürgermeister vor dem Rathaus die Hand schüttelt. Gefolgt von Noch-Amtsinhaber Joachim Scholz, der Steffen Hertwig unter dem Applaus der umstehenden gratuliert.
„Jetzt ist es geschafft. Ich bin überwältigt“, sagt Steffen Hertwig anschließend. Sein Dank gilt Wählern und Unterstützern, aber allen voran seiner Lebensgefährtin Manuela Stolz. Er wolle dem Vertrauensvorschuss gerecht werden, offen und bürgernah sein, verspricht der 47-Jährige. „Ich bin zuversichtlich, dass Neckarsulm eine prächtige Zukunft bevorsteht.“
Neckarsulms abgewählter OB Joachim Scholz nennt das Ergebnis die eine der drei möglichen Varianten, die er sich nicht ausgesucht hätte. „Ich bin Sportler und nehme das sportlich.“ Nach 20 Jahren im Amt, zwölf davon in Steinheim an der Murr, werde er nicht mehr als OB kandidieren und nach neuen Herausforderungen suchen.
Der dritte Kandidat, Kfz-Meister Ulrich Bertok, ist mit auf Anhieb 4,6 Prozent glücklich. „Aus meiner Vision wird eine Mission, in drei Jahren sind Gemeinderatswahlen.“ Alle Parteien hätten schon bei ihm angeklopft. Gewünscht hätte er sich aber eine höhere Wahlbeteiligung.
„Ich bin maßlos enttäuscht, aber wir müssen das Ergebnis akzeptieren“, betont Herbert Emerich, CDU-Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat. Auch FWV-Stadträtin Ingrid Böhringer bekräftigt, dass sie mit so einem Ergebnis nicht gerechnet hat. „Wir werden jetzt offen an die Sache rangehen und ihn an seinen Taten messen müssen.“
Neuanfang
Große Freude herrscht bei SPD und Grünen, die Hertwig – seit 29 Jahren SPD-Mitglied – unterstützten. „Das Ergebnis ist hervorragend“, meint Grünen-Fraktionssprecher Horst Strümann. „Ich bin froh, dass es so eindeutig ist und hoffe, dass es wirklich einen Neuanfang gibt.“ Jens Neser, Vorsitzender des SPD-Ortsverbands jubelt: „Ich bin unglaublich froh, dass Neckarsulm den Wechsel gewählt hat.“ Ab jetzt gelte es, Hertwigs Zehn-Punkte-Plan umzusetzen. „So dass Neckarsulm wegkommt von dem Stillstand, den wir bemängelt haben.“
Bei einer Stippvisite in den Wahllokalen glaubte am Mittag kaum einer an eine Entscheidung im ersten Wahlgang, wenngleich es die meisten doch hofften. Nun wird Amtsinhaber Scholz die Geschäfte im Rathaus noch bis Ende Oktober führen, dann übernimmt Hertwig.
Viel versprochen
Ein Kommentar von Christian Gleichauf
Ob der Denkzettel, den man dem Amtsinhaber Joachim Scholz mitgeben wollte, plötzlich etwas zu groß ausgefallen ist? Reine Spekulation. Die Wähler in Neckarsulm haben entschieden, und zwar eindeutig. Sie wollten den Wechsel, und sie bekommen ihn.
Dass Joachim Scholz angezählt war, haben fast alle in der Stadt gemerkt. Nicht jedoch er selbst, wie er noch am Wahlabend einräumt. Dabei gab es seit Jahren regelmäßig Kritik. Obwohl ein fleißiger Arbeiter, ließ er allzu oft die klare Linie und die überzeugenden Argumente vermissen. Dazu kommt, dass die Gräben, die bei der OB-Wahl vor acht Jahren entstanden waren, nie komplett zugeschüttet wurden. Mit dem damals unterlegenen Klaus Grabbe hatte Scholz sieben Jahre lang einen aktiven Baubürgermeister an seiner Seite, dessen Tun eben nicht Scholz positiv angerechnet wurde. Dann schlitterte Neckarsulm in die finanzielle Krise. Eine Gemengelage, die Platz für neue Hoffnungen schuf.
Die muss nun Wahlsieger Steffen Hertwig erfüllen. Mit Sympathie hat er gepunktet. Seine Wahlversprechen dagegen waren teilweise vage – etwa wenn es um den Umgang mit Verkehr oder steigenden Gebühren ging –, teilweise mutig – etwa wenn er wieder steigende Gewerbesteuereinnahmen versprach. Doch am Ende wählten die Neckarsulmer nicht diese Einzelversprechen, sondern einen Mann, dem sie zutrauen, es besser zu machen. Und dieses Versprechen muss Hertwig tatsächlich einlösen, will er in acht Jahren nicht am gleichen Fleck stehen wie Joachim Scholz heute.