Mehrfamilienhaus in Böckingen sinkt langsam ab
Heilbronn - Risse ziehen sich über die Fassade eines bewohnten Mehrfamilienhauses in der Wilhelm-Leuschner-Straße in Böckingen. Der Grund: Das Haus senkt sich langsam und neigt sich der Straße entgegen.
Heilbronn - Risse ziehen sich über die Fassade eines bewohnten Mehrfamilienhauses in der Wilhelm-Leuschner-Straße in Böckingen. Der Grund: Das Haus senkt sich langsam und neigt sich der Straße entgegen. Auch im Inneren des 50er-Jahre-Baus sieht es nicht besser aus. Durch die Wände im Treppenhaus ziehen sich lange Risse. Neben einem Fenster klafft ein tiefer Spalt, die Fliesen vom Treppenhaus haben sich gelöst. Eigentümer ist die Wohngenossenschaft Gemeinschaftshilfe.
Kleine Renten
In den 16 Wohnungen leben viele ältere, alleinstehende Menschen. Sie haben kleine Renten, mieten die Wohnungen zum Teil seit Jahrzehnten. Ausziehen? Das will hier kaum einer. Eine 78-jährige Frau steht in ihrer Wohnungstüre und sagt: "So eine günstige Wohnung finden wir nirgends. Wir gehen hier nicht raus." Ihre 88-jährige Flur-Nachbarin bestätigt: "Genau". "Mir bleiben 250 Euro im Monat zum Leben", sagt eine 64-jährige Mieterin. "Wie soll ich da einen Umzug bezahlen?" Die Menschen sind an die Gegend gewöhnt, schätzen die Bushaltestelle vor dem Haus.
Sieben bis zehn Millimeter breite Risse hat ein beauftragter Statiker gemessen. "In manchen Wohnungen", so berichtet der Geschäftsführer der Gemeinschaftshilfe, Martin Arpogaus, "sieht man durch die Spalten sogar das Tageslicht durchscheinen." Eine Lösung für das Problem gebe es nicht.
Ein geologisches Gutachten hatte 2005 ergeben, dass eine Aufschüttung unter dem Gebäude besteht. Das heißt, dass das Haus nicht auf natürlich gewachsenem Boden steht. Das könnte ein Grund für eine Setzung sein. Der Wohnblock sinkt seit Jahrzehnten. "Mich beschäftigt das Thema als Geschäftsführer seit 1997", erzählt Arpogaus. Die Stabilisierung des Fundaments sei nur möglich, wenn man das Haus abtrage. Auch über Sanierungsarbeiten könne erst nachgedacht werden, wenn die Risse nicht mehr wachsen. Die Strategie ist deshalb: "Wenn ein Mieter aus einer Wohnung auszieht, bleibt sie leer." Entschließt sich jemand umzuziehen, kommt ihm die Genossenschaft entgegen, verzichtet auf eine Kündigungsfrist. Selbst eine Beteiligung an den Umzugskosten schließt Arpogaus im Einzelfall nicht aus. "Wir bieten den Mietern preislich vergleichbare Wohnungen aus unserem Bestand an."
Experten überprüfen das Haus in regelmäßigen Abständen. Im Moment bescheinigt ein Heilbronner Ingenieurbüro, dass die Risse mit einer Geschwindigkeit von weniger als einem Millimeter pro Jahr wachsen. Vermessungstechniker untersuchen das Haus seit 2002 und haben seitdem an der nördlichen Gibelseite zur Straße hin eine Senkung von 20 Millimetern festgestellt. Zwei der besonders betroffenen Wohnungen stehen leer. Zwei weitere, so warnen Statiker, seien nur noch zwei bis drei Jahre sicher. Für den Fall, dass der Tag X eintritt, an dem die Statiker Alarm schlagen und alle Mieter auf einmal ausziehen müssen, ist der Eigentümer nicht gewappnet.
Bekanntes Problem
Dass sich in der Wilhelm-Leuschner-Straße der Grund senkt, ist bekannt, bestätigt die Stadt Heilbronn. Auch die Eigentümer von zwei äußerlich baugleichen Häusern nebenan kennen das Problem. Dort sind aber nur vereinzelt kleine Risse zu sehen. Selbst an der Bushaltestelle, so der beauftragte Vermessungstechniker Hartmut Winkler, hat sich der Boden in den letzten Jahren etwas gesenkt.
Kündigungen kann die Wohngenossenschaft den Bewohnern des maroden Hauses im Moment nicht aussprechen. Das gehe nur, wenn Gefahr in Verzug sei, so Arpogaus. Er wünscht sich, dass die Experten irgendwann den Stillstand der Senkung feststellen. "Dann sind wir auch bereit, wieder in das Haus zu investieren."
Grundsätzlich sei es nicht außergewöhnlich, dass sich Grund bewegt. „Eine Senkung von zwei Zentimetern kann ein Haus verkraften“, sagt Vermessungstechniker Hartmut Winkler. Unter dem untersuchten Haus setzt sich der Grund aber schon lange, es sei also davon auszugehen, dass die zwei Zentimeter, die seit 2002 gemessen wurden, nicht die absolute Senkung sind.