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Die ersten Söhne und Töchter Mohammeds im Unterland

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Heilbronn - Nein, die ersten Türken, die nach dem Anwerbeabkommen vom Oktober 1961 in die Region kommen, arbeiten nicht bei NSU. In der Neckarsulmer Hafenstraße beziehen diese Landsleute erst zweieinhalb Jahre später Quartier – „in Kompaniestärke“, wie die Heilbronner Stimme im Frühjahr 1964 berichtet.

Von Manfred Stockburger

Heilbronn - Nein, die ersten Türken, die nach dem Anwerbeabkommen vom Oktober 1961 in die Region kommen, arbeiten nicht bei NSU. In der Neckarsulmer Hafenstraße beziehen diese Landsleute erst zweieinhalb Jahre später Quartier – „in Kompaniestärke“, wie die Heilbronner Stimme im Frühjahr 1964 berichtet.

Damals stammen die NSU-Mitarbeiter allerdings auch schon aus 22 Ländern, was kein Wunder ist: Wer im Stimme-Archiv nach Arbeitsmarktberichten aus dieser Zeit sucht, findet immer wieder Texte, die sich mit dem Fachkräftemangel beschäftigen. „Die Zahl der offenen Stellen ist nochmals angestiegen“, heißt es etwa im April 1961. Ein Jahr später dann: „Arbeitskräfte bleiben nach wie vor Mangelware.“ Oder: „Der Lehrlingsmangel nimmt zu“, wie im Juni 1965 berichtet wird.

Statistiken

Die verschiedenen Anwerbeaktionen der heimischen Arbeitsverwaltung bleiben nicht ohne Erfolg, was sich vor allem in Statistiken niederschlägt: „Der 10 000. Gastarbeiter war eine Spanierin“, heißt es im Mai 1965. „Geld lockt viele Gastarbeiter ins Unterland“, titelt die Stimme im März 1963. Sie seien auch in Heilbronn „schon längst vertraute Gestalten“, wie es Redakteur Uwe Jacobi formuliert.

Zugleich stellt Jacobi schon damals die Frage, was mit den Kindern geschehen soll. Er sagt „große Sprachschwierigkeiten“ an den deutschen Schulen voraus, wenn für die „Kinder der Fremdarbeiter“ die Schulpflicht eingeführt werden sollte. Die es bis dahin demnach nicht gegeben hatte.

„Auch als Menschen willkommen“ seien die Türken in Heilbronn, heißt es in einem Text aus dem November 1963. Bei einer Veranstaltung der Diakonie und des Arbeitsamts im Haus des Handwerks seien „die Söhne und Töchter Mohammeds dankbare Gäste“ gewesen. Als Essen wurde Reis mit Hammelfleisch gereicht. Ein großer Teil der Türken habe schon in den frühen Abendstunden den Heimweg angetreten, was die Stimme-Redaktion damals für berichtenswert erachtet. Auch im Sommer 1966 ist die „Romantik aus 1001 Nacht in der Harmonie“ noch eine Schlagzeile wert – und die Tatsache, dass beim Heimatabend der Türken eine Bauchtänzerin aufgetreten ist.

„Menschenwürdige Ausländer-Wohnungen“ fordert der SPD-Landtagsabgeordnete Paul Doll schon im Oktober 1963. „Gastarbeiter sind nicht nur Arbeitspferde“. Die Kommunen müssten Bauland für Ausländerwohnheime zur Verfügung stellen. Erst in den 1970er Jahren nimmt die Diskussion über Lebens- und Arbeitsbedingungen der ausländischen Arbeitskräfte aber einen breiteren Raum ein, auch für die Kommunen werden sie zum Thema.

Dass die heimische Wirtschaft auf Arbeitskräfte aus dem Ausland zurückgreift, ist indes auch in den 1960er Jahren nicht neu gewesen: So wurde das Backstein-Firmengebäude von Baier & Schneider in der Heilbronner Wollhausstraße von Italienern gemauert – und zwar bereits in den 1890er Jahren.

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