Das Märchen vom Himalaya-Salz und andere Teller-Mythen
„Kann denn Essen Sünde sein?“, fragte der Ernährungsexperte Udo Pollmer bei der Volkshochschule Unterland

Widdern - Udo Pollmer sieht nicht so aus, als fürchte er sich vor Fettaugen. Er wirkt eher wie einer, der als Kalorien-Zähler fröhlich gescheitert ist. Und dann hat er einen ganzen Abend lang nur ein Thema: Essen. Der Mann traut sich was.
Der Lebensmittelchemiker (54) genießt in der Branche einen Ruf wie Donnerhall. Er ist bei Maggi, Knorr & Co. so beliebt wie ein schlecht aufgelegter Rottweiler bei einem Einbrecher. Weil er nicht mit dem zierlichen Dessertgäbelchen austeilt, sondern mit der großen Schöpfkelle. Aber er weiß genau, wovon er spricht. Er kennt das Einmaleins der Esswaren-Industrie, die Gaukeleien mit Geschmacksverstärkern und Zusatzstoffen. Deshalb gehen seine Sachbücher weg wie warme Semmeln.
Seine Auftritte sind, wie am Mittwochabend in Widdern, eher deftig denn dezent und ebenso vergnüglich wie fachkundig. „Kann denn Essen Sünde sein?“, fragte er auf Einladung der Volkshochschule und der Gemeinde vor rund 100 Zuhörern. Als Antwort passt der Titel eines seiner Bücher: „Esst endlich normal“.
Widersprüche Auch an diesem Abend räumt er Mythen und Märchen der Ernährungskultur mit sichtlichem Vergnügen vom Teller. Dabei zitiert er aus Studien und Untersuchungen, die oft im Widerspruch zu aktuellen Ess-Trends und vor allem der Werbung stehen. „Der menschliche Körper ist ein durchdachtes System“, erklärt er beispielsweise. Und fügt boshaft hinzu: „Das kann man von der Ernährungsberatung nicht sagen.“ Ein gutes Beispiel sei der Umgang mit Alkohol. „In Schweden ist man der Ansicht, dass von ihm alles Übel ausgeht. In Frankreich sieht man Alkohol als Anti-Aging-Medizin“. Für den Siegeszug der Vitaminpillen hat der Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaft nur Spott übrig. „Grimms Märchen sind näher dran als die wissenschaftlichen Untersuchungen.“ Warum, fragt der Provokateur aus Gemmingen, gebe es so viele unterschiedliche Empfehlungen: In Australien gelten 30 Milligramm Vitamin C pro Tag (mg/T) als sinnvoll, ein Deutscher sollte sich mit 100 mg/T stärken, ein EU-Bürger nur mit 30. Und was hat das meiste Vitamin C? „Bierwurst und Kochschinken – weil es dort als ein Konservierungsmittel eingesetzt wird.“
Unterschiede Die Gesundheitsfraktion bekommt auch ihr Fett ab. „Der Dünndarm ist nicht für Ballaststoffe da“, erklärt er mit mehreren Grafiken. Sein Credo: „Jeder Mensch ist anders und verträgt damit auch etwas anderes.“ Stichwort Himalaya-Salz. „Im ganzen Himalaya gibt’s kein Salz. Der nächste Salzstock ist in Pakistan“, sagt Pollmer unter dem Gelächter des Publikums. Stichwort Kopfsalat. Der hat den gleichen Nährwert „wie ein Papiertaschentuch in einem Glas Wasser“. „Wenn Sie Salat wegen der Vitamine essen wollen, nehmen Sie bitte Fleischsalat.“
Stichwort Calzium. Dass Tabletten für starke Knochen sorgen, dafür gebe es keinerlei wissenschaftliche Beweise. Im Gegenteil. Nach einer neuseeländischen Studie erhöhen Calzium-Gaben das Herzinfarkt-Risiko, sagt Pollmer und fragt dann scheinheilig in die Runde: „Hat man Ihnen das auch erzählt?“
Hat man natürlich nicht. Deshalb sein Rat: „Seien Sie ein bisschen skeptischer.“ Niemand sollte vor dem Essen Angst haben, sondern seinem Körper vertrauen. Im Übrigen helfe Selbstbeschränkung leider nicht gegen überflüssige Pfunde. Alle Abspeck-Maßnahmen, die auf weniger Essen oder mehr Bewegung abzielten, seien bislang gescheitert. „Könnte es nicht sein, dass nicht die Menschen falsch sind, sondern die Theorien?“