Heilbronn
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Was können Handydaten über den Polizistenmord sagen?

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Medien berichten über die Anwesenheit von Islamisten während des Mordes an Michèle Kiesewetter auf der Heilbronner Theresienwiese. Das sollen Handydaten belegen. Der Bundesanwalt weist die Vorwürfe zurück. Doch der NSU-Ausschuss will die Daten erneut prüfen.

Von Carsten Friese
Der Tatort des Polizistenmords, die Heilbronner Theresienwiese. Zehn Jahre nach der Tat gibt es neue Diskussionen über mögliche brisante Handydaten.Foto: Archiv/Kuhnle
Der Tatort des Polizistenmords, die Heilbronner Theresienwiese. Zehn Jahre nach der Tat gibt es neue Diskussionen über mögliche brisante Handydaten.Foto: Archiv/Kuhnle

Spekulationen um eine mögliche Beteiligung von Islamisten am Polizistenmord im April 2007 auf der Heilbronner Theresienwiese sind nicht neu − doch nun bekommen Vorwürfe gegen Ermittler Vehemenz. In der "Report"-Sendung des SWR am Dienstagabend verweisen die Autoren auf neue, "geheime" Funkzellendaten vom Tattag, die den Aufenthalt von Verdächtigen aus der islamistischen Szene in direkter Tatortnähe belegten.

Eine Handynummer soll ins Umfeld der damaligen Sauerland-Terroristen führen; bis etwa zehn Minuten vor dem tödlichen Schuss auf Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter soll sie in einer Funkzelle nahe der Theresienwiese eingeloggt gewesen sein. Eine andere Nummer führe in die Ulmer Dschihadistenszene.

Trotz der Brisanz sei die Auswertung der Funkzellendaten "unterblieben", fassen SWR und "Stern" ihr Rechercheergebnis zusammen. Ein Kriminologe der Ruhr-Universität spricht in dem Film von "null Aufklärungswillen" der Ermittler.

Ermittler: "Es gab keine weiteren Ansätze"

Kann hier eine neue Spur zum ungeklärten Mordfall von Heilbronn liegen, die sträflich vernachlässigt wurde? Frühere Ermittler der Sonderkommission "Parkplatz" können den TV-Bericht nicht nachvollziehen. Man sei Hinweisen nachgegangen, habe auch Funkzellendaten mit Bezug zu Islamisten ausgewertet. "Es wurde dazu ermittelt" − es hätten sich jedoch "keine weiteren Ermittlungsansätze" ergeben, dass Islamisten die Tat verübt haben könnten, sagt ein Insider.

Der Mordanschlag auf der Theresienwiese wird den Rechtsextremisten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zugeschrieben. Bei ihnen wurden die Tatwaffen, die gestohlenen Dienstwaffen der überfallenen Polizisten und ein Blutspritzer der getöteten Michèle Kiesewetter an einer Hose gefunden. Können ausländerfeindliche Neonazis und Islamisten eine wie auch immer geartete Allianz eingegangen sein? "Das passt doch gar nicht zusammen", sagt der Ermittler.

 

Umfangreiches Online-Dossier

 

Drexler will Auswertung der Handydaten

Wolfgang Drexler, Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses im Stuttgarter Landtag, und die anderen Ausschussmitglieder kennen sogenannte Kreuztreffer aus Funkzellendaten in Tatortnähe, die zu Verfahren gegen Straftäter in anderen Fällen führten. Der Ausschuss sehe es kritisch, warum diese Daten nicht frühzeitig überprüft wurden. Man habe den Generalbundesanwalt bereits vor einiger Zeit aufgefordert, alle relevanten Datentreffer auszuwerten. Nach dem neuen Medienbericht will Drexler die Bundesanwaltschaft erneut schriftlich auffordern, alle Rufnummern mit den bekannten Kreuztreffern zu überprüfen − und dem Ausschuss mitzuteilen, ob das Bundeskriminalamt zudem weitere Ermittlungen und Erkenntnisse hat. "Dann wollen wir die Daten."

Fakt ist: 2008 verglich die europäische Polizeibehörde Europol Tausende Funkzellendaten des Heilbronner Mordfalles mit anderen Strafverfahren und verwies auf rund 40 Treffer. Im Juni 2009 hakte eine Beamtin des Bundeskriminalamts (BKA) zu den Funkzellendaten mit Bezug zu Kriminellen nach. Die Auswertung der Treffer sei "zunächst zurückzustellen", hat ein Kollege der Beamtin nach Angaben des NSU-Untersuchungsausschusses damals vermerkt. 2011 wurden Rufnummern der Liste ausgewertet.

An eine Verbindung der NSU-Terroristen zu Islamisten glaubt Drexler eher nicht. Man wolle aber nüchtern und sachlich die Dinge prüfen. Der NSU-Ausschuss hat zwei Mitglieder der Sauerlandgruppe bereits als Zeugen vernommen. Beide hätten versichert, mit Heilbronn "nichts anfangen zu können", sagt Drexler. Mannheim sei als Ort einer Bombenzünderübergabe genannt worden.

 

Kommentar "Transparenz"

Es bleibt im Mordfall Kiesewetter eine Menge nebulös, doch mit Blick auf die neuen Vorwürfe muss man eines scharf sehen: Wenn Handynummern in Funkzellendaten in Tatortnähe auftauchen und in anderen Ermittlungsverfahren bereits einmal im Datenwust präsent waren, bedeutet das nicht gleich, dass ein Haupttäter wieder zugeschlagen hat.

Welche Personen konkret hinter den Kreuztreffern stecken, ist offenkundig noch gar nicht belegt. Und: Ein Nachweis in einem Sendemast nahe der Theresienwiese heißt nicht, dass der Handybesitzer am Tatort war. Er kann auch ganz banal über die Neckarbrücke gefahren sein oder am Fluss geangelt haben.

Dennoch: Wenn Ermittler derartige Datensätze haben, muss diesen nachgegangen werden. Hier hat der NSU-Ausschuss recht, dass offenkundig erst sehr spät eine Relevanz gesehen wurde. Der Fall hat extreme Wendungen gehabt, zigtausend Spuren tauchten auf. Es sei wichtig, dass in diesem Fall mit vielen offenen Fragen "jedem Hinweis nachgegangen wird", stellt Landesinnenminister Thomas Strobl fest und bietet Polizeiunterstützung an.

Die Bundesanwaltschaft sieht es nicht als ihre Aufgabe an, bei bereits ermittelten Tätern wie dem NSU-Trio jede weitere Spur in alle Richtungen zu verfolgen. Sie sollte aber mit den Ausschüssen, die einen klaren Aufklärungsauftrag haben, kooperieren und alle relevanten Daten zur Verfügung stellen. Damit sich eben nicht ein Eindruck verfestigt, dass etwas unter Verschluss gehalten werden soll. Das würde nur neue Spekulationen befeuern.

 

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