Vor 30 Jahren: Als die Tour de France durch Heilbronn kam
Am 4. Juli 1987, einem Samstag, flitzten die Pedaleure durch Kraichgau, Zabergäu und Unterland

Das Geräusch der vorbeisausenden Räder, ein paar bunte Farbflecke, die ineinanderfließen, ffffft, ffffft, ffffft − schon sind sie wieder weg, die Asse bei der Tour de France. Das ist heute so, wenn man an der Strecke steht, um live dabei zu sein beim bedeutendsten Radrennen der Welt. Und das war damals so, an jenem 4. Juli 1987, als die Tour durch den Kraichgau, durchs Zabergäu und Unterland zischte, auf dem Weg vom Etappenstart in Karlsruhe nach Stuttgart, wo vor exakt 30 Jahren der dritte Tagesabschnitt zu Ende ging. Abertausende pilgerten an die Strecke. Zählen konnte sie keiner. Die Schätzungen bewegten sich für die rund 60 Kilometer in und um Heilbronn herum auf 100 000 bis 200 000 Zuschauer.
Es ist ein ganz spezielles Erlebnis, ganz nah dran zu sein an der Tour de France. Stundenlang muss man am Straßenrand ausharren, um dann erleben zu dürfen, wie unglaublich schnell Profiradfahrer selbst auf wenig legendären Etappen unterwegs sind. Wilfried Hartmann, damals Rathaussprecher in Heilbronn, beschrieb seine Eindrücke so: "Wemmer da am Straßenrand steht, na rutscht’s halt gschwind an einem vorbei − und na isch’s rum." Ja, genau so ist es. Nicht nur im Schwäbischen.
Immerhin gibt es die Werbekarawane, die dem Radlerfeld vorausfährt und für Unterhaltung bei den Wartenden sorgt. Und wer Glück hat, wer unerwartet vom Schicksal begünstigt wird, der darf weit mehr erhaschen als flüchtige Eindrücke vom sausenden Peloton.
War da nicht das Gelbe Trikot?
Hmm, vielleicht.
Man hat kaum eine Chance, Startnummern zu erkennen und Fahrern in die Gesichter zu schauen. Es sei denn, es passiert, was an jenem 4. Juli 1987 in Eppingen passiert ist.
Die Bahnschranke war zu.
Quälende Minuten Kein Durchkommen, auch nicht für den ansonsten hoch privilegierten Tross der Tour de France, der auf abgesperrter Strecke stets und überall Vorfahrt vor allen Autos genießt. Die Pedaleure müssen sich um Kreuzungsverkehr eigentlich nicht scheren, doch nun, hier im Kraichgau, stand plötzlich die Tour. Nichts ging vorwärts. Gar nichts. Die Sekunden verrannen, es wurden Minuten. Zwei quälende Minuten des Wartens für Frédéric Brun, den französischen Etappen-Spitzenreiter zu diesem Zeitpunkt, der sich von allen anderen Fahrern abgesetzt hatte. Manfred Staub, der Chef des Eppinger Ordnungsamtes, sagte damals der Heilbronner Stimme: "Der erste Fahrer war uns für frühestens 14.37 Uhr angekündigt worden. Brun ist jedoch bereits um 14.26 Uhr eingetroffen und stand eine Minute später an der Schranke. Wir hatten den Veranstalter mehrmals auf den um 14.29 Uhr ankommenden Zug hingewiesen und angeboten, dass die Bahn ihn in Sulzfeld enden lässt und die Fahrgäste mit dem Bus weiterbefördert. Daraufhin war uns mitgeteilt worden, dies sei keinesfalls nötig." Tja. Man kann sich täuschen.
Keiner der Experten hatte geglaubt, dass bei dieser Etappe gleich von Beginn an ein derart heftiges Tempo angeschlagen werden könnte. Die Zwangspause in Eppingen wurde zum Sondervergnügen für all jene Zuschauer, die sich dort bei der Bahnschranke an die Straße gestellt hatten und viel, viel mehr zu sehen bekamen als nur ein blitzschnell vorbei-sausendes Peloton.
Vor 30 Jahren startete die Frankreich-Rundfahrt in Deutschland, so wie auch jetzt wieder, anno 2017. Diesmal in Düsseldorf, damals in Berlin. Das Rennen wurde anlässlich der 750-Jahr-Feier im Westteil der Stadt gestartet. Die Mauer stand ja noch. Dann flog der Tour-Tross über die DDR hinweg nach Baden-Württemberg. Dann war das Ländle dran. 219 Kilometer waren es von Karlsruhe nach Stuttgart. Fast mittendrin: Heilbronn.
Gölz’ Attacke Es war ein Samstag. Es war richtig viel los in der Stadt. Trotz der Bahnschranken-Zwangspause kam Frédéric Brun noch als umjubelter Solist durch Heilbronn. Dann aber machte sich Rolf Gölz, einer der deutschen Hoffnungsträger, zum Protagonisten. Wer in Untergruppenbach oder Oberstenfeld an der Strecke stand (so wie der Autor dieser Blickpunkt-Seite, der sich auf sein biederes Kalkhoff-Rennrad geschwungen hatte, um an der schwierigen Steigung hinter Oberstenfeld ein bisschen mehr zu erleben als ein schnelles ffffft, ffffft, ffffft) sah den Oberschwaben als Teil einer kleinen Spitzengruppe. Doch es wurde nichts aus dem erhofften Coup in der Heimat: "Ich habe zu früh attackiert." Gölz wurde eingeholt.
Didi Thurau, der 1987 schon deutlich gealterte Held vergangener Tour-Zeiten, wurde immerhin Achter, als es in Stuttgart um die Tageswertung ging. Etappensieger war der Portugiese Acacio da Silva, ins Gelbe Trikot schlüpfte der Schweizer Erich Maechler. All die großen Favoriten auf den Sieg in Paris hatten sich unterwegs verbummelt.
In Heilbronn und drumherum war die Tour de France danach nie wieder zu Gast. Wer damals dabei war, hat etwas Einmaliges erlebt.
Historische Fotodokumentation





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