Heilbronn
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Ein unheimlich starkes Stück Stadthistorie

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In dem 1940 von Nazis als Schutzbunker gebauten Theresienturm ist die Zeit stehen geblieben

Von Kilian Krauth
In Schutzräumen gibt es Waschbecken. Der Abort ist im Gang.Foto: Stadtarchiv
In Schutzräumen gibt es Waschbecken. Der Abort ist im Gang.Foto: Stadtarchiv

In einem der drei Untergeschosse liegt ein verstaubter Schuh mit rostigen Beschlägen, in einem Waschbecken ein Underberg-Likör-Fläschchen, leer. Und im Wehrgang unterhalb des Dachs hocken zwischen Spinnweben Marienkäfer und Wanzen eng beieinander. Ansonsten kaum Spuren von Leben, bestenfalls Leitungen für Strom, Wasser, Abwasser, Schilder und Schriftzüge wie "Mannschaftsraum", "Betreten verboten" oder "Abort" und "frei".

"Für mich ist das einer der stärksten Orte von Heilbronn", sagt Professor Christhard Schrenk. Zusammen mit dem Kollegen Peter Wanner und Hochbauamtsleiter Johannes Straub "arbeitet" sich der Stadtarchivdirektor gestern durch den 1940 vom Reichsluftfahrtministerium gebauten Hochbunker auf der Theresienwiese.

Treppen gibt es nur unten und oben. Ein Wendelgang verbindet die Geschosse.
Treppen gibt es nur unten und oben. Ein Wendelgang verbindet die Geschosse.

Nicht etwa am Pult, sondern vor Ort: über ein Außengerüst, durch Stahltüren − "Kopf einziehen!" − auf einem zwei Meter breiten Wendelgang über sieben Obergeschosse aufs Dach, wo einst eine Flugabwehrkanone stand. Zwischendurch müssen Schrenk, Wanner und Straub durchschnaufen. Nicht nur wegen der Höhendistanz von 28,50 Metern, nicht nur wegen Feinstaub und Kälte. Es ist die knallharte Gegenwart der Geschichte, die hinter bis zu vier Meter dicken Beton- und Sandsteinmauern lauert und allen das Gemüt beschwert.

"Hier verdichtet sich ein Kapitel Stadtgeschichte unheimlich, unmittelbar, ambivalent", sagt Wanner: die Geschichte der Nazi-Jahre, des Zweiten Weltkriegs, der Angriffe auf Heilbronn bis hin zur Zerstörung am 4. Dezember 1944. 1000 Menschen haben hier den Feuersturm überlebt, davor etliche kleinere Angriffe: auf dem Boden, in Gängen, im Keller, in sechs Schutzräumen mit je 27 Pritschen − die Ösen hängen noch an den Wänden.

Peter Wanner öffnet die Stahltür. Ihn beschleicht ein "unheimliches Gefühl".
Peter Wanner öffnet die Stahltür. Ihn beschleicht ein "unheimliches Gefühl".

"Alles hier ist auch mit Emotionen behaftet. Zeitzeugen haben uns vom Alltag erzählt, auch von dramatischen Szenen", berichtet Schrenk. Als die Stahltüren bei Fliegerangriffen verschlossen waren, mussten viele Menschen draußen bleiben, manche wurden von Jagdbombern erschossen − den rettenden Bunker vor Augen. Nach dem Krieg diente der Turm als Notunterkunft für Ausgebombte und als Übernachtungsstätte für Reisende. Das damals sogenannte "Bunker-Hotel" schloss 1948, die Außentreppe wurde demontiert. 1963 installierte Werbe-Buchstaben machten ihn im Volksmund zum MAN-Turm.

"Bis ins Jahr 2000 ist hier im Prinzip keiner mehr reingekommen", sagt Schrenk. Dann kam jemand im Rathaus auf die Idee, die "Immobilie" zum Kauf anzubieten: für eine D-Mark. Doch alle Nutzungsideen − von der Championzucht bis zur Bunkerbar − scheiterten an den Rahmenbedingungen und am Denkmalschutz. Als der alte Beton zu bröckeln begann, wurde der Turm nach Christo-Manier in grüne Baunetze gehüllt, 2014 bekam er für 100 000 Euro eine neue Haube verpasst.

Der Hochbunker auf der Theresienwiese ist normalerweise nicht zugänglich. Jetzt hat das Stadtarchiv ein Gerüst installieren lassen. Am Wochenende nach Ostern werden Führungen durch das 28,5 Meter hohe Gebäude angeboten.Fotos: Dennis Mugler
Der Hochbunker auf der Theresienwiese ist normalerweise nicht zugänglich. Jetzt hat das Stadtarchiv ein Gerüst installieren lassen. Am Wochenende nach Ostern werden Führungen durch das 28,5 Meter hohe Gebäude angeboten.Fotos: Dennis Mugler

Im Februar sorgte der Bau für Aufsehen, weil ihm der Gemeinderat einen neuen Namen gab. Bis zuletzt war er nach dem Nazi-General Walther Wever benannt. Jetzt heißt er Theresienturm Heilbronn. Das Stadtarchiv hatte einen weniger schönfärberischen Namen vorgeschlagen: Bunkerturm auf der Theresienwiese. Aktuell gibt es keine Pläne, den Turm dauerhaft einer Nutzung zuzuführen. Gleichwohl räumen Schrenk und Wanner ein, dass "dieser starke Ort" geradezu danach schreit, öffentlich zugänglich zu werden: als Gedenkstätte, als Ausstellungsraum für "gelebte Geschichte", als Aussichtspunkt. Wer weiß? Das Dach bietet jedenfalls eine traumhafte Panoramaaussicht, auch aufs nahe Buga-Areal.

 

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