Arbeitsplatz Straßenstrich
Miniröcke, die knapp den Hintern verdecken. Stöckelschuhe und weit ausgeschnittene Oberteile. Bis zu 20 Prostituierte stehen in der Heilbronner Hafenstraße und werben in aufreizenden Kleidern um die Gunst der Freier. Nicht so Evelin (Name geändert). Die Frau mit den dunklen langen Haaren erfüllt nicht das Klischee einer Straßenprostituierten.

Sie steht in Jeans und schwarzem T-Shirt am Straßenrand. Mit 48 Jahren ist sie eine der älteren Huren auf dem Strich.
Arbeiterin
Für Evelin gibt es keine Ruhetage. Täglich bietet sie ihren Körper an. Bei Wind und Wetter. "Ich mache den Job nicht gerne", sagt sie und zündet sich eine Zigarette an. Wäre da nicht das Geld. 2011 kommt sie mit dem Bus von Bulgarien nach Deutschland.
Da war sie 44. Zuerst Dortmund, dann Hannover und vor etwas mehr als einem Jahr Heilbronn. In Dortmund nimmt sie eine Frau aus Bulgarien in Empfang. Sie bezahlt das Busticket und bietet Evelin eine Übernachtungsmöglichkeit. Noch am selben Tag steht sie abends auf dem Strich.
In ihrer Heimat arbeitete sie in einer Schuhfabrik und verdiente 200 Euro im Monat. Das war ihr für sich und ihre drei Kinder zu wenig. Unterstützung von ihrem Mann gab es keine. "Er war Alkoholiker. Ich hab mich vor 20 Jahren von ihm scheiden lassen."
Heimat
Inzwischen lebt sie zusammen mit ihrer Tochter und einem Enkelkind in einer Heilbronner Landkreisgemeinde. 600 Euro kostet die Miete im Monat, 25 Euro zahlt sie pro Tag ans Finanzamt. Krankenversichert ist sie nicht. Was von ihrem Verdienst noch übrig bleibt, schickt sie in die Heimat. Weder ihre Tochter, mit der sie zusammenlebt, noch ihre Kinder in Bulgarien wissen, was ihre Mutter macht. Wenn sie fragen, lügt Evelin. "Dann sag ich, dass ich in einer Fabrik arbeite."
Evelin gehört zu den privilegierten Prostituierten auf dem Heilbronner Straßenstrich. Sie fährt ein eigenes Auto und spricht Deutsch. Das unterscheidet sie von vielen anderen Frauen in der Hafenstraße. "Ich brauche niemanden, der sich um mich kümmert." Sie betont, dass sie keinen Zuhälter habe. "Das Geld, das ich verdiene, bleibt bei mir." Die Hälfte der Frauen auf dem Strich würden von ihren Zuhältern abkassiert. Als einmal ein Mann kommt und von ihr Geld verlangt, ruft sie die Polizei. Seitdem hat sie Ruhe, sagt sie. Zur Polizei habe sie ein gutes Verhältnis. "Wenn irgendwas ist, ruf ich gleich an. Die kommen dann."
Stammfreier
Evelin hat ihren festen Platz auf dem Strich. Das wissen ihre Freier. "Meine Kunden sind zwischen 18 und 80." Stammkunden gehören dazu. Wie eben jener 80-Jährige, der mit Evelin einkaufen geht, ein paar nette Stunden mit ihr verbringt. Sex spielt da keine Rolle. Wer mit Evelin intim werden möchte, zahlt 30 Euro. Dafür gibt’s französischen Sex oder die Standardnummer.
Extrawünsche kosten mehr. Für eine halbe Stunde nimmt die 48-Jährige 50 Euro, die volle Stunde kostet 100 Euro. "Entweder wir machen’s im Auto, beim Kunden oder er hat ein Hotelzimmer gebucht", sagt sie. Sex im Freien komme für sie nicht infrage. Andere Frauen oder Freier sehen das anders. Benutzte Kondome, Papiertaschentücher und Hygienemittel unweit des Straßenstrichs zeugen davon.
Bedürfnisse
Sex ohne Kondom lehnt Evelin ab. Anders als manche ihrer Kolleginnen, sagt sie. Die würden es auch ohne Gummi machen, oft noch billiger. Manche Kunden hätten das Bedürfnis, einfach nur zu reden. Die Hälfte ihrer Freier, schätzt Evelin, ist verheiratet. "Die erzählen mir, dass sie seit Monaten keinen Sex mehr hatten oder nachts getrennt von ihrer Frau schlafen."
Sie schüttelt den Kopf. Die Prostituierte als Seelentrösterin. Doch wer kümmert sich um ihr Seelenheil? "An Weihnachten, Silvester oder am Geburtstag bin ich schon traurig", sagt sie. Evelin hofft, dass sie demnächst bei einer Firma arbeiten kann. Die Diakonie helfe ihr bei der Suche. Dann wäre Schluss mit den Lügen gegenüber ihren Kindern.
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