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Mähdrescher: Ernte mit Vollgas
Mähdrescher helfen dabei, das Getreide schnell ins Trockene zu bringen. Seit 1972 zieht Walter Steinhilber auf ihnen seine Bahnen. Viel hat sich inzwischen verändert - aber die Arbeit ist nach wie vor hart.
Als Walter Steinhilber zum ersten Mal einen Mähdrescher gefahren hat, machte der Doppeltorschütze Gerd Müller Deutschland zum Europameister. 1972 war das, 3:0 gegen die Sowjetunion. Natürlich hat Landwirtschaft nur wenig mit Fußball zu tun. Der Vergleich zeigt aber, auf welch große Erfahrung der Wüstenroter zurückblicken kann. Und genauso wie das Durchschnittsgehalt eines Fußballers hat sich auch die Landmaschinentechnik rasant entwickelt. Mit den Ungetümen von damals haben die computergesteuerten Geräte von heute wenig zu tun. „Ich habe noch erlebt, wie man ohne Kabine in einer Staubwolke gefahren ist“, sagt Steinhilber. Er sitzt gerade in einem auf 20 Grad Celsius temperierten, staubdichten Führerhaus und erntet Braugerste in Heilbronn-Böckingen. Ein Job für von Langeweile geplagte Fußball-Rentner wäre die Lohndrescherei trotzdem nicht. Von früh bis spät in die Nacht ziehen die Giganten der Äcker ihre Bahnen. Und das unter Zeitdruck.
Die Staubwolke, die Walter Steinhilber aufwirbelt, ist weithin zu sehen. Kein Wunder. Mehr als 30 Grad Außentemperatur, lang anhaltende Trockenheit. Der Wüstenroter sitzt konzentriert am Steuerrad, seine Füße aber bleiben untätig. „Pedale brauche ich nicht.“ Dafür einen Joystick, mit dem Steinhilber alle wichtigen Funktionen des 250 000-Euro-Gerätes steuert. Er passt damit die Höhe des Mähwerks an, kontrolliert das Tempo, setzt die rotierende Haspel in Gang. Vor allem an den Stellen, wo die Gerste flach auf dem Boden liegt, lässt es der Wüstenroter langsam angehen. Er weiß genau: Markus Remmele, auf dessen Acker der Mähdrescher die Staubwolke in den Himmel malt, strebt wie alle Landwirte einen möglichst hohen Ertrag an. Da zählt jedes Kilogramm. Remmele baut neben Braugerste noch Weizen und Dinkel an. Er gehört zu den Stammkunden des Wüstenroters, ein eigener Mähdrescher lohnt sich nicht. Seine Aufgabe ist es, die Hänger vorzubereiten, damit Steinhilber den sechs Tonnen fassenden Tank leeren kann.
Der Claas Lexion 530 wirkt von außen riesig, im Inneren der Kabine dagegen handlich und beweglich. Lenkbare Hinterräder machen es möglich. Und die Erfahrung von 45 Berufsjahren. Mit jeder Bahn schrumpft das Restfeld um sechs Meter. Am Ende angekommen, fährt Steinhilber einen Bogen, setzt einmal zurück, schon geht es weiter. In der Region sind noch größere Mähdrescher unterwegs mit Schnittbreiten bis zu neun Metern. „Früher waren die Parzellen viel kleiner“, erinnert sich der Wüstenroter. „Wenn möglich, tauschen wir Grundstücke, um möglichst große Stücke zu bekommen“, sagt Andreas Schnepf. Er ist ebenfalls Landwirt in Böckingen und Vorstandsmitglied im Kreisbauernverband Heilbronn-Ludwigsburg. Er ist mit der Qualität des Getreides insgesamt nicht ganz zufrieden. Die Hitze hat das Korn zu schnell reifen lassen und das Wachstum zu früh gestoppt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Erzeugerpreise nach dem Geschmack der Bauern zu niedrig sind. Der Weizen etwa bringe 160 bis 170 Euro pro Tonne. Vor ein paar Jahren waren es noch 230 Euro.
Stroh bleibt auf dem Acker
Bahn um Bahn frisst der Claas vorn in sich hinein. Hinten fällt das gehäckselte Stroh heraus. „Dass die Landwirte das Stroh nutzen wollen, kommt immer seltener vor“, meint Walter Steinhilber. Das sieht auch Andreas Schnepf so. Zum einen gebe es immer weniger Tierhalter. „Zum anderen lege ich Wert darauf, dass der künftige Humus auf dem Acker bleibt.“ Weg vom Acker muss das Korn. Ein akustisches Signal zeigt Steinhilber an, dass er den Tank leeren muss. Zackig fährt er zu den wartenden Anhängern, gibt per Joystick den betreffenden Befehl, sofort transportiert eine Förderschnecke die Braugerste aus dem Tank in den Anhänger. Der Wüstenroter fährt vor und zurück, verteilt die Ernte. Darauf bedacht, dass die Frucht nicht auf dem Boden landet. Nur wenige Momente später fängt die Haspel schon wieder die Getreidehalme ein, das Mähwerk trennt sie ab, der Schüttler separiert das Korn. Je nach Lage braucht der Wüstenroter 30 bis 60 Minuten pro Hektar. Die Fläche entscheidet auch über die Bezahlung. Steinhilber stellt den Bauern nach eigenen Angaben 120 bis 130 Euro je Hektar in Rechnung. In die Kalkulation muss einfließen: Das teure Gerät steht 48 bis 49 Wochen pro Jahr in der Scheune. Geld verdienen kann der Lohndrescher nur in der kurzen Erntesaison. „Im Winter warten wir das Gerät. Wir machen alles selber.“ Klar: In der Erntezeit muss der Claas durchhalten, jede Zwangspause kann Geld kosten.
Inzwischen steht nur noch ein ganz schmaler Streifen. Walter Steinhilber, seine Kunden liegen vornehmlich im Raum Heilbronn und im Weinsberger Tal, steuert ein letztes Mal die Anhänger an, leert seinen Tank. Der Auftrag von Markus Remmele ist am Spätnachmittag erledigt. An Feierabend denkt der 59-Jährige aber noch lange nicht. Gut einen Kilometer entfernt liegt das nächste Getreidefeld. Wenn der Mähdrescher-Pilot dann doch Schluss macht, fährt er nicht mit seinem Großgerät Richtung Bett. Das würde zu lange dauern. „Wir fahren mit Pkw.“ Der Claas bleibt vor Ort stehen. Muss er umgesetzt werden, zieht er auf einem Anhänger Haspel und Mähwerk hinter sich her. Ein letzter Gruß, Steinhilber verschwindet, der Claas verabschiedet sich mit einem lauten Dröhnen. Markus Remmele startet den Motor seines Deutz-Traktors und macht sich mit seinen beiden Hängern auf den Weg zum Agrar-Großhändler Baywa in Heilbronn. Getreide abliefern.
Rund 20 Minuten dauert die Fahrt. Auf Schleichwege kann Remmele nicht ausweichen. Zu breit und zu schwer ist sein Gespann. Nicht alle Autofahrer teilen die Erkenntnis, dass ihnen der Rohstoff für ihr Brot oder ihr Feierabendbier den Weg versperrt. Hin und wieder machen sie hupend ihrem Ärger über den langsam fahrenden Konvoi Luft. „Das kommt vor, aber nicht so oft“, meint Remmele schmunzelnd. Er hat ja keine Wahl. Auf dem Luftweg kann er seine Braugerste nicht nach Heilbronn schicken.
Auf dem Baywa-Gelände angekommen, stoppt der Heilbronner seine Hänger auf der Waage. Und ein überdimensionierter Staubsauger zieht Proben. Mehrere aus jedem Hänger. Remmele gibt Gas, stellt sich in die Warteschlange. Vor ihm stehen Traktorgespanne, aber auch Lastzüge. Parallel werten die Baywa-Mitarbeiter die Proben aus. Agrar-Leiter Reiner Faber zeigt auf ein lautstark werkelndes Gerät. „Hier wird der Vollgerstenanteil ermittelt.“ Das heißt: Die Probe läuft über Siebe mit verschiedenen Lochgrößen. Nur wenn die einzelnen Körner groß genug sind, im Idealfall zwischen 2,8 und 2,5 Millimeter, können die Mälzereien mit ihnen arbeiten. Beim Weizen spielt nicht die Korngröße die entscheidende Rolle, sondern der Eiweißgehalt – auch den kann das Labor sofort ermitteln.
Korngröße bei Braugerste wichtig
Markus Remmele darf abladen. „Gehen Sie ein paar Schritte zurück, gleich wird es sehr staubig.“ Und der Landwirt soll recht behalten. Die Braugerste strömt durch die Gitter in die Eingeweide der Baywa-Anlagen. Siebe und Luft reinigen die Frucht, Förderbänder transportieren sie in die Lagerbox. Doch dort legt die Braugerste nur einen Zwischenstopp ein. Per Schiff oder Lkw geht es im Laufe der nächsten Monate weiter. „Wir beliefern Mälzereien, zum Beispiel am Rhein“, sagt Reiner Faber. Rund 12 000 Tonnen Braugerste schlage der Heilbronner Standort des Unternehmens im Jahr um. Zum Vergleich: Beim Weizen sind es 20 000 Tonnen.
Markus Remmele fährt heute nicht mehr Schiff. Und er fährt auch nicht an den Rhein. Er bugsiert sein Gespann auf die Ausgangswaage. Über die Differenz ermitteln die Baywa-Leute das Gewicht der Anlieferung. Sekunden später startet der Landwirt Richtung Böckingen. Um spätnachmittags Feierabend zu machen? Bestimmt nicht. Es ist Erntezeit. Schließlich müssen Walter Steinhilber und seine Lohndrescher-Kollegen ihre vollen Tanks leeren können – nachdem sie mit ihren starken Schweinwerfen Nacht und Staubwolken zerschnitten haben.
Preise
Im Landkreis Heilbronn wird auf mehr als 40 000 Hektar Ackerbau betrieben. Davon Getreide: 24 200 Hektar. Im Hohenlohekreis ist die Ackerbaufläche 30 900 Hektar groß, der Anteil von Getreide beträgt knapp 19 800 Hektar. Im Stadtkreis Heilbronn wird auf 1800 Hektar Getreide angebaut, die Ackerbaufläche insgesamt ist 3100 Hektar groß.