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Kuckuckskind im Weinberg

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Neue Erkenntnisse über Rebsorte Wildmuskat − DNA-Test bringt wahre Elternschaft ans Licht

Von unserem Redakteur Kilian Krauth
Wildmuskat ist Gerhard Streckers "Lieblingskind" und das Markenzeichen seines Weingutes Amalienhofs mit Standorten in Beilstein und Heilbronn.Foto: Archiv/Dirks
Wildmuskat ist Gerhard Streckers "Lieblingskind" und das Markenzeichen seines Weingutes Amalienhofs mit Standorten in Beilstein und Heilbronn.Foto: Archiv/Dirks

Starkritiker Stuart Pigott lobt sie in höchsten Tönen: "Kaum eine Rebsorte hat einen passenderen Namen als diese neue Traube, die möglicherweise die weltbesten Nouveau-Rotweine hervorbringt," also die besten ersten Weine eines Jahrgangs. Der Engländer spricht von einem "vollen, saftigen Wein mit einem vielschichtigen, an Muskat, Pflaumen und Feigen erinnernden Duft". Rotweinguru Rudolf Knoll hob beim Deutschen Rotweinpreis 2014 sogar ein Exemplar aufs Podest. Die Lobeshymnen scheinen kein Ende zu nehmen. Sie gelten nicht nur dem Wein, sondern auch der Lebensleistung des Weingärtners Gerhard Strecker.

Der heute 87-Jährige hat die Sorte nach eigenen Angaben gezüchtet und über alle bürokratischen Hürden hinweg zum Markenzeichen seines Weingutes Amalienhof gemacht. Der Familienbetrieb kultiviert den Wildmuskat am Beilsteiner Steinberg inzwischen auf fünf von 28 Hektar. Wildmuskat auf Flaschen gibt es in zehn Variationen: von 7,90 bis 19 Euro.

Vertraulich Doch die Erfolgsgeschichte muss umgeschrieben werden − und mit ihr ein spannendes Kapitel Württemberger Weinbaugeschichte. Insider bezweifeln schon länger, dass der Wildmuskat tatsächlich von Strecker stammt. Eine Stimme-Anfrage beim Institut für Rebenzüchtung Geilweiler Hof in Siebeldingen leitete die dortige Expertin Dr. Erika Maul 2013 an die Weinbauschule Weinsberg weiter. "Aus Gründen der Vertraulichkeit."

Weinsbergs Direktor Dr. Günter Bäder wollte die Sache eigentlich nicht an die große Glocke hängen, gibt aber bereitwillig Auskunft: 2012 habe sein Mitarbeiter Dr. Bernd Hill eine Reihe von Rebsorten in Siebeldingen auf ihre DNA, also auf ihr Erbgut, untersuchen lassen, darunter den Wildmuskat. Dabei habe sich gezeigt, dass es sich bei den "Eltern" um die französische Noir hatif de Marseille und die Weinsberger Sorte Sulmer handle; Sulmer wiederum war 1955 aus Lemberger und Schwarzelbling gekreuzt worden. Seit kurzem ist diese Erkenntnis auf der internationalen Rebsorten-Datenbank amtlich dokumentiert.

Aussortiert Der inzwischen pensionierte Hill tauchte auf Stimme-Anfrage nochmals in die Akten ein und fand heraus, dass 1971, 1972 und 1973 insgesamt 1862 Sämlinge aus dieser Kreuzung ausgepflanzt worden waren: in der Außenstelle der Weinbauschule in Lauffen. Einzig aus der Population von 1973 seien zwei Reben übrig geblieben, erklärt Hills Nachfolger Dr. Jürgen Sturm, alle anderen seien im Laufe der Jahre der Züchtungsselektion "zum Opfer gefallen − zumindest in Weinsberg", wie Sturm weiß.

Am Beilsteiner Steinberg dagegen erlebte eben diese Neuzüchtung einen zweiten Frühling, durch einen ehemaligen Mitarbeiter der Weinbauschule: Gerhard Strecker, der in der Fachwelt als privater Züchter einen legendären Ruf genießt. Seine Züchtungen resultieren nicht wie sonst üblich aus der Kreuzung zweier Sorten, er setzt vielmehr auf die natürliche Vermehrung. So sei der Wildmuskat durch die Aussaat von Kernen des "Lemberger-Clans" und durch die "freie Befruchtung ohne menschliches Zutun" entstanden. Aus mehr als 200 000 Pflänzchen habe er sich als besonders schön und robust herausgestellt. "Durch frühe Reife und das betörende Muskataroma der Trauben", so berichtete Strecker gerne, hätten sie Wildtiere wie Fuchs, Hase und Reh als erste entdeckt. Aus dem Mutterstock habe er nach und nach weitere Rebstöcke vermehrt. 1983 habe er die ersten fünf Liter ausgebaut, in den 1990ern stieg der Amalienhof groß in die Vermarktung ein, zunächst unter dem Namen Muskat-Lemberger, seit 2003 heißt die Sorte Wildmuskat und wurde als solche beim Bundessortenamt zugelassen.

"Die Historie spielt für uns heute kaum noch eine Rolle", sagt Streckers Tochter Regine Böhringer. So werde sie auf der nächsten Preisliste nicht mehr auftauchen, "auch auf der Homepage werden wirs ändern". Fest steht für sie aber auch: "Mein Vater hat die Rebe nicht geklaut." Und: Er habe seine Züchtungsarbeit stets nach bestem Wissen und Gewissen dokumentiert, aber Fehler könnten "bei diesem Sisyphusgeschäft" immer passieren, auch in der Weinbauschule. Im Namen ihres Vaters betont sie nicht zuletzt: "Wer weiß, ob die DNA-Analyse der Weisheit letzter Schluss ist?"

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