Jugend vor Gericht
Eine Jugendrichterin spricht über ihre Arbeit und darüber, was sie über die Jugend von heute denkt.

Sie stehlen, werden mit Marihuana erwischt, erpressen, schlagen und misshandeln andere. Kommt es zu einem Strafverfahren, passiert es, dass sie vor Elke Woll stehen. Die Jugendrichterin am Amtsgericht Heilbronn hat es mit Menschen im Alter von 14 bis einschließlich 20 Jahren zu tun.
Trotz der Gewaltattacke jüngst in Bad Friedrichshall macht Elke Woll die Erfahrung: Mädchen und junge Frauen geraten deutlich seltener in Konflikt mit der Justiz als Jungen. Ein Blick auf die Zahlen der Jugendgerichtshilfe untermauert ihre Einschätzung. In nur etwa 20 bis 28 Prozent aller Fälle haben es die Jugendgerichtshilfen des Landkreises und der Stadt Heilbronn mit Mädchen zu tun.
"Bei jungen Menschen hat man das Gefühl, man kann noch ein Leben lenken", sagt die 52 Jahre alte Woll. Seit 1992 ist sie Richterin; mit dem Jugendbereich befasst sie sich seit dem Jahr 2000. Das Jugendstrafrecht biete mehr Möglichkeiten, um auf eine Tat zu reagieren. Sie kann zum Beispiel ein Sozialtraining anweisen, junge Delinquenten auffordern, einen Psychologen aufzusuchen oder sie zwingen, die Schule zu besuchen oder eine Ausbildung zu machen. Kommt der Täter dem nicht nach, droht ihm Arrest.
Urteilen Jugendrichter oft zu lasch?
Diesen Vorwurf lässt Elke Woll nicht gelten. Sie ist überzeugt: Das mildeste Mittel ist das adäquateste. Die Möglichkeit, auch Volljährige nach dem Jugendstrafrecht zu verurteilen, hält sie ebenfalls für sinnvoll. "Es ist ja nicht so, als würden wir ihnen den Hinterkopf streicheln." Brüche in der Biografie oder Schwierigkeiten in der Familie verzögerten mitunter den Reifeprozess. Dies alles zusammengenommen könne Kriminalität bedingen.
Elke Woll berücksichtigt die Schicksale der jungen Menschen. So stand zum Beispiel ein junger Mann vor ihr, der als Kind gesehen hat, wie der Stiefvater die Mutter tötete. Oder der 14-Jährige, der bereits mit Alkohol im Blut zur Welt gekommen sei und im Alter von acht, neun Jahren mit der Mutter in die Trinkerszene eintauchte.
Blickt Elke Woll auf ihre 16 Jahre währende Tätigkeit als Jugendrichterin, stellt sie fest: Es hat sich nicht viel verändert. Nach wie vor hat sie es mit jungen Dieben zu tun, Schulschwänzern, Schlägern, Schwarzfahrern, Erpressern: "Gib mir dein Handy oder Geld, sonst bekommst du eins aufs Maul." Solch ein Vergehen werde nicht gering geahndet, sagt die Richterin.
Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz mit Amphetaminen, Marihuana und Ecstasy nehmen Woll zufolge zu. Junge Menschen probieren sich aus, überschreiten Grenzen. Das gehört zum Erwachsenwerden dazu. "Dieses Verhalten ist normal", sagt Woll, "aber es sollte sich nicht verfestigen." Ein fürsorgliches Elternhaus, das Grenzen aufzeige, könne dem entgegenwirken. Ein Verfahren vor dem Jugendgericht markiere für manchen jungen Menschen einen Wendepunkt.
Der aktuelle Fall der Mädchen, die eine 14-Jährige schwer misshandelt haben, bewertet Woll aus ihrer Sicht − sie ist nicht damit befasst − als "krassen Einzelfall". Jugendbanden, wie sie vor Jahren in Neuenstadt, Neckarsulm oder auch Lauffen aufgetreten seien, gebe es zurzeit nicht. Woll hat täglich mit Übeltätern zu tun. Ihre Sicht auf junge Menschen verändert es nicht: "Unsere Jugend ist nach wie vor klasse, auch die, die hierherkommen."